: Jawlinski über die Krise der UdSSR: Im Frühjahr drohen soziale Unruhen
In zwei Wochen Gipfel der G-7-Finanzstaatssekretäre in Moskau/ Schwierigkeiten „überwältigend“ ■ Aus Bangkok Dietmar Bartz
Bis zum vorletzten Tag beherrschte der sowjetische Ökonom Grigori Jawlinski das Jahrestreffen von IWF und Weltbank in Bangkok: Auf einer völlig überfüllten Pressekonferenz sprach er gestern über Einzelheiten seines Umbauplanes für die UdSSR, die Probleme zwischen den Republiken und mit dem umstrittenen Wirtschaftsvertrag.
„Der Ball liegt nun auf unserer Seite“, sagte Jawlinski als Resümee des Treffens mit den Finanzministern und Notenbankchefs der G-7- Industrieländer am Wochenende. Ihnen hatte er einen Plan über den Umbau der Sowjetunion vorgelegt (siehe taz gestern). Die Zahl der Fragen, die sich nun stellten, sei nicht besonders groß, aber die Schwierigkeiten, sie zu beantworten, „überwältigend“. Schon in den nächsten zwei Wochen finde als „Moskauer G-7- Gipfel“ das Treffen mit den G-7-Finanzstaatssekretären statt, auf dem die eigentlichen Entscheidungen gefällt werden — gemeint ist vermutlich das tatsächliche Design des Beistandspaketes, über das in Bangkok so viel gerätselt wird. Innerhalb der nächsten zehn Tage werde der Vertrag über einen Sonderstatus in der Weltbank unterzeichnet.
Vor der Presse war Jawlinski sichtbar bemüht, anstelle von Zahlen— mit denen er, so er sie hatte, nicht zurückhielt — die ungeheure Komplexität der Probleme zu erklären, vor denen die Sowjetunion und die Republiken bei der Einführung des Marktes und eines für die Bevölkerung „sicheren, zivilisierten und geschützten“ Übergangs stehen.
Der Weg zur IWF-Vollmitgliedschaft — realistisch sei ein Beitritt im nächsten Jahr — hat Jawlinski zufolge eine doppelte Funktion. Zum einen, weil die deswegen abverlangte Analyse des IWF über die sowjetische Wirtschaft sie selbst in die Lage versetzen werde, die Krise genauer zu durchschauen. Zum andern soll diese Analyse zugleich die Grundlage für die Reformen bilden. Die Quote im IWF hänge davon ab, wie viele Republiken den Vertrag unterzeichnen werden. Falls der Wirtschaftsvertrag nicht bis zum Frühjahr unterzeichnet werde, sei dann die „Deadline“ nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch und sozial erreicht — und dies bei einer nuklearen Supermacht. Außerdem seien nur zwölf Prozent der interrepublikanischen Grenzen in irgendeiner Form juristisch anerkannt. Der Ökonom zeigte sich zufrieden damit, daß US-Finanzminister Nicholas Brady die finanzielle Unterstützung von der Unterzeichnung des Vertrages abhängig gemacht habe, wenngleich er einräumte, daß die entscheidenden Probleme dieses Vertrages ausgegliedert wurden und nach der Unterzeichnung zusätzliche Abkommen zwischen den Republiken abgeschlossen werden müssen. „Ich hatte nie ein hundertprozentiges Vertrauen, daß der Vertrag unterschrieben wird“, sagte Jawlinski. Wenn doch, könnten aber auch gravierende Abänderungen zum Scheitern seines Plans führen. Oder daß der Vertrag zwar unterschrieben, aber nicht erfüllt wird.
Zur Ukraine, die in Bangkok die baldige Ausgabe eigenen Geldes angekündigt hatte, sagte Jawlinski sarkastisch: „Ich gratuliere den Republiken zu ihrer Aufnahme in den IWF. Und ich gratuliere dem IWF zu fünfzehn neuen Mitgliedern.“ Auf Informationen über einen ukrainischen Antrag auf Mitgliedschaft reagierte gestern der IWF mit einer kurzen Bekanntmachung, derzufolge beim IWF eine Bitte der ukrainischen Nationalbank um technische Unterstützung durch IWF und Weltbank eingegangen sei. IWF-Angehörige würden weiter mit Beamten der Bank über künftige Formen der Kooperation reden. Mitgliedschaft oder Assoziierung sind in der Erklärung nicht erwähnt.
Daß sich nun auch Boris Jelzin am Dienstag für Rußland das Recht auf eine eigene Währung vorbehalten hat, ist für Jawlinski ein Nachahmereffekt. Außerdem lasse der Vertragsentwurf durchaus eigene Währungen zu, wenn auch kein eigenes Finanzsystem. Ob die neuen Scheine einen festen Wechselkurs zur neuen, von der Zentralbank herauszugebenden sowjetischen Währung haben würden, müßten Experten im kleinen Kreis klären.
Die derzeitigen sowjetischen Auslandsschulden bezifferte Jawlinski auf 64 Milliarden Dollar. 52 Milliarden lägen beim Staat, vier Milliarden bei den neuen Privatunternehmen und 8 Milliarden bei den osteuropäischen Ländern.
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