Wir

■ Hadayatullah Hübsch hatte Zeit für Trips

Nachts einen Sturm entfachen, das lag uns. Wir beschlossen, freiwillig eine Nervenklinik aufzusuchen, um dort den Wagen mit den schwarzgekleideten Frauen durch die Gegend zu fahren.

Der heillose Schrecken war die einzige Möglichkeit, verwirrte und zauberhafte Mädchen zu erbeuten. (Dieser Terror im Gehirn, diese Atombombe im inneren Raum, diese himmlische Strafe, alles war wie eine Schlange, die ein halbblinder Mann aus einer Parklücke gehoben und in den elektrischen Dreck getaucht sehen mochte.) Die Ebenen des Sagbaren suchten nämlich neue Räume, und der gigantische Weltkrieg zwischen Coca-Cola und Pepsi-Cola interessierte uns natürlich nicht.

Auf der Straße kam Uschi uns entgegen. Sie gab uns rote Zigaretten und Rotweinflaschen, Antörnpillen und Auseinandersetzungen. Wir rannten zuerst mal voller Halluzinationen in den Schnee und erbrachen Straßen und Mao-Bilder. Ihr hübsches Gesicht gab dem Stelldichein einen Fetzen Erinnerung.

Mit ihrem hochgeschlossenen Unterzeug saß sie übrigens am liebsten im Radio Luxemburg Café. Die Verstärkeranlagen brüllten dort in die Mikrofone. Ihr Beat stieß an die Grenze unvorstellbarer Schlagzeugsoli und füllte uns mit gierigen Zerstörungswellen. Dazwischen fielen, wie schlechte Nachrichten, Rauchbomben aus heiterem Himmel. Die Springer-Presse machte die Polizisten unsicher.

Wir trockneten Uschi ab und holten uns für alle Fälle trozdem die Postkarten. Der nächste Trip erzeugte denn auch wundersame Fische darauf und schickte diese alberne, zvilisierte Welt leichthändig auf die Reise ins Wochenende.

Doch als plötzlich dann der Saal zerplatzte, blieb bloß die Welt der Träume zurück. Der Pfleger nahm unsere alten Klamotten; wir pflanzten den Kirschkern mit einer Zigarette in die Blumentopferde und folgten ihm. „Wohin wirst du gehen?“, sagten wir im Chor. „Heute nacht besorgen wir dir einen Dollar, dann kannst du damit unter den Meeresspiegel tauchen.“

„Eure alten Sprüche sind voller Schmutz“, sagte er. „Ihr protestiert gegen eure Jugend, euer Jungsein. Das Gefängnis wäre, für euch, viel viel besser als diese Anstalt. Es würde euch von euren Schuldkomplexen erlösen, das könnt ihr mir glauben.“ Er führte uns in eine bodenlose Zelle. Dort wollten wir dann dem Angebot der schmucken Mädchen ausweichen. Wir grinsten glatzköpfig.

Doch pflichtbewußt öffnete der Pfleger seinen riesigen Seesack, nahm die Pfeife heraus und legte sich auf den Boden, wo er einschlief, bis wir, in Panik und gewaltig mit den Armen rudernd, ihm Zeichen zumorsten. Wir versprachen ihm eine angefaulte Suppe. Er befreite uns von diesem schäbigen Abendessen, indem er uns mit einem Stock auf unsere Köpfe schlug und jedes Kulturleben in uns damit zerstörte.

„Warum tragt ihr eure Irrfahrten nicht zu Markte?“, sagte der Pfleger.

„Ich verweigere mich der Misere“, sagte Hadayatullah Hübsch. Gustav Jacobsen

Hadayatullah Hübsch, Keine Zeit für Trips. Autobiographischer Bericht, Koren & Debes-Verlag, Frankfurt/M., 180 Seiten, 25DM