: The Best of Bloßfeldt
Ein Klassiker der modernen Fotografie, gestutzt und geliftet ■ Von Reinhard Matz
Seine Pflanzenbilder sind derart prägnant, daß ihr Autor überall in der kleinen Welt der Fotografie zweifelsfrei erkannt wird: Karl Bloßfeldt (1865 bis 1932). Für 20 Mark erhält man 48 auf gutem Papier brillant gedruckte Abbildungen, einen Text von Gert Mattenklott, der die Bilder kulturhistorisch einordnet und zeigt, daß es immer wieder lohnt, die Reflexion der Fotogeschichte nicht den Fotohistorikern zu überlassen; dazu noch Übersichten zu Lebensdaten und Literatur. Ein rundes Produkt, möchte man meinen, eine Bloßfeldt-Schnupperpackung, mehr kann und will das Büchlein nicht sein.
Die Probleme beginnen, wenn man sich auf Bloßfeldts Arbeit einläßt und die Publikationen mit dem konfrontiert, was man über sie hinaus von Bloßfeldt wissen kann.
Über 30 Jahre hat Bloßfeldt in aller Stille seine detaillierten Pflanzenaufnahmen gemacht, bis er kurz vor seiner Emeritierung als Kunsthochschullehrer in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre vom Kulturbetrieb entdeckt und als ein Hauptvertreter der neuen Sachlichkeit gefeiert wurde. Man kann nicht glauben, daß die Fotografien über einen Zeitraum, der fast ein Arbeitsleben umfaßt, so einheitlich wie jetzt vorgeführt ausfielen. Ausgewählt wurden ausschließlich Fotografien, die Pflanzen wie Individuen vorführen: anmutige und skurrile, biedere, verschlossene und extravagante — fast nur Einzelporträts, Brustbilder quasi. Es sind jene Bilder, in denen der Surrealismus durch die Neue Sachlichkeit schaut, eben jene, die auch in New York und Tokio sofort als „Bloßfeldts“ identifiziert werden.
Zieht man dagegen eine Bloßfeldt-Publikation zu Rate, die ein Jahr zuvor erschienen ist, eröffnet sich ein ganz anderes Bild des Fotografen. Neben den bekannten „Einzelporträts“ finden sich Phasensequenzen, Zweier- und Dreiervarianten und vor allem verblüffend ornamentale Blütenteppiche. Bezeichnenderweise ist dieses Buch in der Bibliografie des hier Besprochenen nicht aufgeführt. Kein Wunder, möchte man unterstellen, es erschien in Leipzig, beliefert mithin heute den gleichen Markt und bietet für zehn Mark mehr einen festen Einband, ein fast eineinhalbmal so großes Format und in einer breiter angelegten Auswahl 30 Abbildungen mehr. Es ist allerdings weniger brillant gedruckt und „liegt nicht so gut in der Hand“.
Im Westbuch, wie gesagt, herrscht Brillanz. So brillant wie im Taschenbuch von Schirmer/Mosel sind Bloßfeldts Fotos noch nie gedruckt worden. Dabei wird übersehen, daß die Grauwertnuancierung für Schwarz/weiß-Fotografien ein grundlegendes Element ihrer Artikulation, ein entscheidendes Moment der Möglichkeit ist, sie zuzuordnen. Die bis 1942 erschienenen Bloßfeldt-Bücher halten sich durchweg an den durch die erste Veröffentlichung (Urformen der Kunst, 1928) vorgegebenen Standard eines matten Kupfertiefdrucks. Die Monografie von Gert Mattenklott, bei Schirmer/ Mosel 1981 erschienen und gewissermaßen das Original der jetzt vorliegenden Kurz- und Kleinfassung, versucht diesen Vorgaben mittels Offsetdruck nahezukommen. Bis dahin bleibt spürbar, daß Bloßfeldt bei aller neusachlichen Sicht eben auch — oder: doch — in der Tradition der Kunstfotografie um 1900 wurzelt. Das bestätigte auch der Fund von 500 autorisierten zeitgenössischen Abzügen (vintage prints) in den Bibliotheksschubladen der Hochschule für Bildende Künste Berlin 1984. Die Bilderwiedergaben der vorliegenden Taschenbuchausgabe rücken Bloßfeldt jedoch unversehens in die perfekte Glätte eines Robert Mappelthorpe.
Und da gehört Bloßfeldt nun wirklich nicht hin. So lupenrein hätten wir die Neue Sachlichkeit heute gerne, so widerspruchsfrei war sie aber nicht. Die dunklen Wurzeln seines modernen Werks verraten Sätze, die sich in einem Vorwort des Autors zu seinem zweiten Buch finden (Wundergarten der Natur, 1932): „Jede gesunde Kunstentfaltung bedarf einer befruchteten Anregung: nur aus dem ewig unversiegbaren Jungbrunnen der Natur, aus dem die Völker aller Zeit schöpfen, kann der Kunst wieder neue Kraft und Anregung zu einer gesunden Entwicklung zugeführt werden. Über die oft seelenlose Gegenwartsgestaltung siegt die Schönheit und Erhabenheit der schöpferischen Natur. [...] Meine Pflanzenurkunden sollen dazu beitragen, die Verbindung mit der Natur wieder herzustellen.“ Zu recht merkt Gert Mattenklott an, daß der Bloßfeldt-Verehrer Walter Benjamin dies mit Schaudern gelesen haben muß.
Karl Bloßfeldt: „Photograhien“, hg. von Ann und Jürgen Wilde, mit einem Text von Gert Mattenklott, Schirmer/Mosel-Verlag, München 1991, 128 Seiten, 48 Duoton- Abb., 19,80DM
(Karl Bloßfeldt: „Fotografien zwischen Natur und Kunst“, hg. von Andreas Hüneke und Gerhard Ihrke, Fotokinoverlag Leipzig 1990, 88 Seiten, 78 Abb., 29,50DM)
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