DEBATTE: Wolf mit Schafsköpfen
■ Ein Kulturbrief ins nördliche Kanada, die Verleihung des Büchner-Preises an den deutschen Kolumnisten Wolf Biermann betreffend
Lieber Franz,
und dabei hätte ich gedacht, die siebziger Jahre, die sind vorbei. Erinnerst Du Dich noch, wie damals die Fußballer Wallehaare kriegten und die Politiker Koteletten, wie sie alle Hosen mit Schlag trugen und Blockabsätze wie „Sweet“? Aber Du wirst es nicht glauben, genau diese Geschmacklosigkeiten kommen wieder. Nur dafür, daß Willy Brandt Kanzler bleibt oder Franz Josef Strauß in Bayern, braucht keiner mehr auf die Straße zu gehen: der eine hat sich überfressen und ist glücklich tot; der andere ist dann doch zurückgetreten und hat aus lauter Kummer eine Frau geheiratet, für deren monatlich in der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung‘ abgelegtes politisches Glaubensbekenntnis man die prämortale Witwenverbrennung einführen sollte.
Du weißt ja gar nicht, wie gut Du es in Deinem hinteren Saskatchewan hast: Baust deinen Weizen an und brauchst Dich um nichts mehr zu kümmern. Auswandern möchte man wie Du, aber andererseits ist es hier im Moment so hochgradig lustig, weil man zusehen kann, wie die Siebziger und die reformierte Oberstufe von damals sich wiederholen.
Du erinnerst Dich doch, wie menschenfreundlich das Jahrzehnt begann. Im Religionsunterricht wurde der Katechismus weggelegt, statt dessen hatten wir aus Prospekten dilettantische Agitprop-Collagen zum Elend der Dritten Welt zu kleben. Der Musiklehrer wollte auch nicht mehr als so verkalkt gelten, wie er war, und führte mit dem Schulorchester Yesterday auf, daß die Violinen nur so troffen vom Schmalz. Als einer vorschlug, statt dieses ewigen Bach & Beethoven sollten wir doch mal was richtig Modernes durchnehmen, zum Beispiel die Rock-Oper Tommy von „The Who“, hörte der Musikerzieher sich immerhin eine LP-Seite an, entschied sich dann aber doch für den pädagogisch wertvolleren Stockhausen. Heute muß man ja sagen, daß er uns vor dem endgültigen sozialdemokratischen Ruin bewahrt hat.
Für den sorgten die Deutschlehrer, die von morgens bis abends den Kunstbegriff erweiterten. Wir mußten bei ihnen Landserhefte studieren und sie dann literaturkritisch niedermachen, daß es nur so staubte. Anschließend dekodierten wir die Sprache der Comics und entlarvten die Semantik von Verkehrszeichen. Ein ganz weit Fortgeschrittener gab sich über Wochen Mühe, vom Pflichtprogramm Nibelungenlied und Minnesang bruchlos in das Abgründig-Literarische im Liedgut des Sängers Reinhard Mey überzuleiten. Es war furchtbar, eben siebziger Jahre BRD.
Die Altvorderen schwafelten seinerzeit unentwegt von engagierter und operativer Literatur, dokumentierten, collagierten, zitierten in einem fort, bekannten sich zu den Grundsätzen des Marxismus und biederten sich bei jeder Gelegenheit bei den Ausgebeuteten dieser Erde an. Diese Zeit ist zwar rauschend untergegangen, aber dennnoch will die sozialpädagogische Fraktion einfach nicht den Löffel abgeben. Kürzlich erst beklagte ein Literaturkritiker, daß in einer neueren Anthologie mit moderner Lyrik dem dichterischen Schaffen Bob Dylans nicht genügend Rechnung getragen werde. Da freut es einen dann doch, daß endlich auch die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt den Bewußtseinsstand unserer gymnasialen Oberstufe erreicht hat.
Nachdem sie eine Zeitlang das geriatrische Projekt verfolgt und nur unverdächtige Altersheimer wie Hermann Kesten, Heinz Piontek und Hermann Lenz ausgezeichnet hatte, nachdem die damals noch existierende DDR mit Christa Wolf und Heiner Müller abgefunden und mit dem Metropolen-Mystiker Botho Strauß der Katholizismus rehabilitiert war, verfiel man in diesem Jahr für den Georg-Büchner-Preis auf, lach nicht!, Wolf Biermann.
Ja, ja, der Hush-Puppie-Wolf, der uns immer voransang „Herrgott! Laß doch den Kommunismus siegen!“, dem wir sein schlichtgewirktes sozialistisches Gemüt gern verziehen, weil er ein 1a-Held der Arbeiterklasse war, der von Ulbricht und Honecker und Höpcke permanent gedeckelte Dauerwiderständler, der Patenonkel der göttlichen Nina Hagen, den sie 1976 Nacht über Kopf aus der DDR geschmissen ham — dieser unser Wolf Biermann bekommt heute den Büchner-Preis überreicht.
Du bist ja schon 1977 auf und davon und hast deshalb kaum mehr mitbekommen, wie elend sich der Wolf im freien Westen fühlte. Da war er nun links, links bis unter die damals noch nicht versaitete Milz, aber wem sollte er sein Herz schenken? Mal beweinte er die spanischen Kommunisten, dann die Toten von Stammheim. Zum Glück kam ihm Nicaragua zu Hilfe und El Salvador, und der gute Wolf immer mittenmang, immer dabei, immer engagiert, immer operativ mit seinem Heldengesang. Doch mit den Jahren hing ihm der Schnauzbart arg weit herunter. Was sollte er tun? Brüder, zur Sonne, zur Freiheit? Das ging nicht mehr gut. Unser guter Wolf hetzte trotzdem weiter und immer weiter. Er agitierte bei Joachim Fuchsberger (Du kennst doch noch seine „4711“-Reklame), klampfte linksmelancholisch bei Thomas Gottschalk (der hat eine Samstagsshow der größten Peinlichkeiten) und schwadronierte klassenkämpferisch in „Dingsda“, einer Kinderladensendung, in die sonst nur ChefredakteurInnen gebeten werden.
Damit hatte sich der gute Wolf ausreichend qualifiziert, so daß der Akademie gar nichts anderes mehr übrigblieb, als den bedeutendsten deutschen Literaturpreis an den „mutigen Liedermacher und Pamphletisten und den Schöpfer einer neuen politischen Prosa“ zu vergeben. Diese Entscheidung zeugt von echtem linksliberalen Mannesmut, sie hat Saft und Kraft.
Mannesmut hatte allerdings heuer schon einmal der Lyriker Hans Magnus Enzensberger bewiesen, als er den Kleist-Preis, den zweitwichtigsten deutschen Literaturpreis, persönlich an seinen Hausel Gaston Salvatore verlieh, der sich hauptsächlich damit beschäftigt, die gemeinsame Wohnung in Venedig zu verwesen. Ich meine, warum nicht.
Ja, und fast hätt' ich's vergessen, der Mörike-Preis wurde auch grad frei, und den haben sie auch unserm Wolf nachgeworfen. Ich weiß ja, was Du denkst: Das ist der Kapitalismus, der letztlich gesiegt hat, das mußte auch Biermann einsehen. Die Preise sind da, die Träger auch, also wird ein Ausgezeichneter gleich nochmal gekrönt; 's wird schon seine Richtigkeit haben. Einen Laudator find'st Du immer, und sei es den Quasselkopf.
Der Quasselkopf, das muß ich Dir erklären, war lange Jahr Literaturpapst, bis er aus Altersgründen bei der 'FAZ‘ ausscheiden und beim Fernsehen um Nachtasyl nachsuchen mußte. Dort haben sie ihn dann gleich als Gott genommen. Mindestens einmal im Monat knipst Gott sich ein und wütet schachterlteufelmäßig, bis alles schläft.
Dieser Quasselkopf, er heißt sonst Marcel Reich-Ranicki, entdeckte vor zehn Jahren sein Herz für die Dichtwerke einer gewissen Ulla Hahn, dann lobpries er einen Herrn Peter Maiwald. Die beiden hatten den Vorteil, daß sie zwar einst bei der DKP waren, nun aber bereit, übers Feuilleton in die westliche Kultur heimzufinden. Dafür umarmte sie der Quasselkopf ausführlich. In diesem Jahr ist Wolf Biermann dran. In einer Reihe von Aufsätzen, die er gittarrenuntermalt für die 'Zeit‘ geschrieben hat, entdeckte Biermann seinen Lesern, daß es mit der DDR und leider auch mit dem Kommunismus vorbei sei, daß man sich aber immer noch ans Wichtigste, an das Geld, halten könne.
So haben alle etwas davon: Wir was zu lachen, Quasselkopf wieder einen bekehrten Kommunisten, die Akademie einen durch Filmfunkfernsehen bekannten Preisträger, und Georg Büchner ist zum Glück schon länger tot. Schönste Grüße von Deinem alten Klassenkameraden Willi Winkler
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