: Sowjetdeutsche beraten über Autonomie
Moskau (dpa) — Die russische Regierung ist bereit, die Autonomie der Sowjetdeutschen schrittweise wiederherzustellen. Deren radikaler Flügel verlangt aber sofortiges Handeln. Das wurde am Freitag in Moskau zum Auftakt eines dreitätigigen Kongresses der Sowjetdeutschen deutlich, bei der die Wiederherstellung der Wolgarepublik das Hauptthema ist.
Die deutsche Wolgarepublik war im August 1941 — wenige Wochen nach Hitlers Überfall auf die Sowjetunion — von Stalin aufgelöst worden. Die dort sowie in anderen Siedlungen im europäischen Teil der UdSSR lebenden Deutschen wurden nach Mittelasien und Sibirien vertrieben.
Heute wohnt rund die Hälfte der insgesamt zwei Millionen Sowjetdeutschen in Kasachstan. Die ortsansässige Bevölkerung im Gebiet der ehemaligen Wolgarepublik um die Stadt Saratow hat gegen eine Rücksiedlung der Deutschen protestiert. Auch am Freitag demonstrierten rund zwei Dutzend Gegner des Vorhabens vor dem Moskauer Kino „Oktober“, in dem der Kognreß der Deutschen stattfindet. „Völkerfreundschaft ja — Autonomie der Deutschen an der Wolga nein“ hieß es unter anderem auf Transparenten.
Der Vorsitzende des russischen Staatskomitees für Nationalitätenfragen, Leonid Prokopjew, sicherte den Sowjetdeutschen auf dem Kongreß zu, daß noch bis zum Jahresende ein Gesetz zur Autonomie verabschiedet werde. Es solle bis zum Jahre 1994 umgesetzt werden, wobei erste Ansiedlungen 1992/93 beginnen könnten. Allerdings, so Prokopjew, müsse in dem ganzen „schwierigen“ Prozeß auch die Meinung der an der Wolga lebenden nichtdeutschen Bevölkerung berücksichtigt werden, die Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit fürchte.
Der Beauftragte der Bunderegierung für die Minderheiten, der parlamentarische Staatssekretär Horst Waffenschmidt, sagte vor dem Kongreß, die Wolgarepublik müsse kommen. Jedoch sei dieses Ziel nur in Zusammenarbeit vor allem mit der russischen Regierung zu erreichen. Außerdem müsse „klug und weise“ vorgegangen werden, um auch die bereits an der Wolga Lebenden für diese Idee zu gewinnen. Vor allem müßten der radikale und der gemäßigte Flügel der Sowjetdeutschen ihren Streit beenden.
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