: Die Rüstungsindustrie wird vom Tauwetter erwischt
Mit massivem Arbeitsplatzabbau und der Flucht in Kartelle hoffen die deutschen Rüstungsfirmen, der Schlacht ums Waffengeschäft zu entkommen ■ Von Erwin Single
Jürgen Schrempp, Chef der Deutschen Aerospace, hat keinen leichten Job. Der gelernte Kfz-Mechaniker muß die Auftragsbücher der zum Daimler-Konzern gehörenden Luft- und Raumfahrttochter füllen. Als der Autokonzern sich 1988 die Firmen MBB, Dornier, MTU und Telefunken Systemtechnik (TST) einkaufte, schien das Rüstungsgeschäft ein Knüller zu werden. Für Schrempp hätte das Ende des Kalten Krieges in Europa kaum unpäßlicher kommen können: Statt einkalkulierter Gewinne klafft nun ein Auftragsloch von 43 Prozent in den Büchern der Daimler-Tochter. Dem Dasa-Chef ist längst klar: Die Rüstungsindustrie steht vor mageren Jahren.
Das Zittern geht jedoch weiter. Die Dasa (Umsatz: 12,5 Milliarden DM, davon 48 Prozent aus Rüstungsgeschäften) muß um den Auftrag für das Prestigeprojekt „Jäger 90“ fürchten. Im kommenden Jahr will die Bundesregierung über den deutsch-englisch-spanisch-italienischen Kampfjet entscheiden, in dessen Entwicklung sie bereits 2,8 Milliarden DM an Steuergeldern gebuttert hat. 50 bis 100 Milliarden DM wird der Wundervogel die deutsche Seite kosten, so schätzen Experten, 80 Prozent dürften dabei für die Dasa abfallen. Doch selbst in der CDU/ CSU wächst der Widerstand gegen die teuren Pläne der Stoltenberg Airlines. Stürzt der Jäger 90 ab, sind rund 7.000 Arbeitsplätze bei der Dasa gefährdet, davon allein etwa 5.000 in den Tornado-Montagewerken Manching und Augsburg.
Ein Szenario der IG Metall geht davon aus, daß die Hälfte der insgesamt rund 400.000 Arbeitspätze derdeutschen Rüstungsindustrie durch Abrüstung und Nachfrageausfall gefährdet sind. In der westeuropäischen Rüstungsindustrie wackeln bis zu einer halben Million der rund 1,5 Millionen Stellen, hat das Stockholmer Friedensinstitut Sipri errechnet. In der Bonner Hardthöhe geht man inzwischen davon aus, daß allein durch die Wiener Abrüstungsvereinbarungen die Bundeswehraufträge mittelfristig um ein Drittel zurückgehen werden. Auf 4,7 Milliarden DM soll sich das freigesetzte Auftragsvolumen belaufen. Die westeuropäische Rüstungsindustrie rechnet sogar damit, daß das Nato-Auftragspolster in einigen Jahren sogar auf die Hälfte zusammenschrumpft.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Abrüstungsprozesses treffen die Branche weitgehend unvorbereitet. Als Hoflieferanten der Bundeswehr hatten die deutschen Waffenhersteller jahrelang bequeme Monopol-Nischen besetzt. „Die deutsche Rüstungsbranche“, analysierte selbst der ehemalige Verteidigungs- Staatssekretär Manfred Timmermann (CDU), bestehe überwiegend aus „oligopolistischen Anbietern mit einer diversifizierten mittelständischen Zulieferindustrie“.
Die Bundeswehr kaufte eifrig: Jährlich rund 11,5 Milliarden DM hat sie in den vergangenen fünf Jahren für Materialbeschaffung ausgegeben, hinzu kamen fünf Milliarden für Instandhaltung sowie drei Milliarden an Forschungs- und Entwicklungsgeldern. Und die Bundesregierung (Kohl-Slogan: Frieden schaffen mit immer weniger Waffen) sorgte dafür, daß die Rüstungsindustrie zusätzlich von florierenden Waffenexportgeschäften profitieren konnte: Allein 1990 wurden Waffen und Rüstungsfabiken im Wert von 13 Milliarden DM mit Bonner Genehmigung ins Ausland verkauft.
Manchem Unternehmen droht nun die Existenzkrise. Die Umstellung erweist sich um so problematischer, je größer das Unternehmen, je höher der Rüstungsanteil und je spezialisierter seine Rüstungsproduktion ist. In Deutschland geraten vor allem die Hersteller konventioneller Rüstungsgüter wie Panzer- und Kanonenbauer, Werftindustrie und Flugzeugproduzenten in die Bredoullie. Regional wird die erwartete Krise vorwiegend Bayern und die norddeutschen Küstenländer treffen: Fast ein Drittel aller Bonner Rüstungsaufträge flossen in den weißblauen Freistaat, gut zehn Prozent der Beschaffungsausgaben landeten bislang im Norden.
„Plattmachen und zukaufen“, so laute die Antwort der meisten Rüstungsschmieden auf das Umrüsten, wird seitens der IG-Metall kritistiert. Tatsächlich haben nur wenige Unternehmen ernsthaft versucht, der tödlichen Rüstungsabhängigkeit durch interne Konversionsprogramme auf zivile Füße zu helfen. Statt dessen werden lieber Firmen mit ziviler Produktpallette aufgekauft und nicht mehr rentabel erscheinende Rüstungsbereiche an die sich im Konzentrationsfieber befindenden europäischen Rüstungsgiganten veräußert. Bestes Beispiel für die Crash- Strategie ist der Kanonenbauer Rheinmetall (Umsatz: 2,97 Milliarden DM, davon 1,2 Milliarden Wehrtechnik). Die Geschäftsleitung in der Düsseldorfer Ulmenstraße beschloß vor Weihnachten, bis 1993 mit 1.000 Rüstungsarbeitern gleich ein Drittel der gesamten Belegschaft auf die Straße zu setzten. Die Entlassungswelle begründete Rheinmetall- Chef Raimund Germershausen lapidar mit dem Abbau von Überkapazitäten. Für das Unternehmen ist dies jedoch kein Grund, aus dem Rüstunggeschäft auszusteigen: „Wir haben das 100 Jahre gemacht, warum sollen wir es jetzt aufgeben?“ so Germershausen. Mit einer prall gefüllten Kriegskasse werden statt dessen andere Rüstungsbuden eingekauft. Um sich als Hofanbieter für die Landstreitkräfte das Geschützmonopol zu sichern, erwarben die Kanonenkönige vom Krupp-Konzern den Panzer- und Marinelieferanten MaK-Systemgesellschaft. Um den Rüstungsanteil auf ein Drittel zu senken, hatte Rheinmetall sich den führenden Verpackungsmaschinenhersteller Jagenberg, die Vergaserfirma Pierburg und beinahe sogar ein Telefonunternehmen einverleibt.
In der Rüstungsbranche ist klar: Der Konkurrenzkampf auf dem europäischen Rüstungsmarkt wird sich noch verschärfen; die Absatzkrise dezimiert die Anbieter. Die europäischen Rüstungsriesen flüchten in kartellähnliche Kooperationsbeziehungen. Der Grund: Der Trend geht zu hochintelligenten Waffensystemen und elektronischer Kampfführung; so gut wie alle Milliardenprogramme werden bereits EG-weit vergeben. Die Firmenkooperationen zielen aber nicht nur auf europäische Großaufträge, sondern auch auf den Export: Bei internationalen Koproduktionen gibt es keine Ausfuhrbeschränkungen nach deutschem Recht; die fertigen Waffen, im Partnerland zusammengebaut, können nach den dortigen Gesetzen weiterverkauft werden — auch an potentielle Kriegsherren in Krisengebieten und der „Dritten Welt“. Deutschland rangiert bei den Exporten konventioneller Waffen weit hinter Frankreich und England — kein Wunder, daß die führenden Unternehmen dieser Länder für die deutschen Partner eine Schlüsselrolle einnehmen. So konnte die Siemens AG ihr Rüstungsgeschäft im vergangenen Jahr sogar auf knapp zwei Milliarden DM verdoppeln, nachdem sie beim britischen Elektromulti Plessey eingestiegen war. Und die Dasa, in der grenzüberschreitenden Konzentration vorne dran, würde allzu gerne den französischen Ausrüster Matra unter seine Fittiche nehmen und mit British Aerospace näher kooperieren.
Geradezu beispielhaft für die neuen Rüstungsallianzen ist die Hubschrauberholding „Eurocopter S.A.“ von MBB und Aerospatiale. Der französische Staatskonzern ist Entwicklungsmotor des geplanten Vier-Nationen-Kampfhubschrauber NH-90, an dem auch die Dasa beteiligt ist. Durch die Zusammenlegung dürften die beiden Firmen fast drei Viertel des Geschäfts unter sich ausmachen; allein die deutschen Anteilskosten (24 Prozent) belaufen sich auf schätzungsweise sieben bis zehn Milliarden DM. Auch bei der Entwicklung des Panzerabwehrhubschraubers PAH-2 mischen MBB und Aerospatiale kräftig mit. Die „Euromissle“, ein ähnliches Raketenkonsortium der beiden Unternehmen hat soeben mit dem französischen Konkurrenten Thomson CSF einen Deal abgeschlossen: Thomson verlegt die Produktion der Flugabwehrrakete VT1 auf Euromissle, die dafür auf die Entwicklung des „Roland“-Nachfolgers RM5 verzichten. Das Waffensystem Roland war bei MBB bislang der Umsatzschwerpunkt im Bereich Verteidigungstechnik.
Auch die Nürnberger Diehl- Gruppe hatte versucht, mit wilden Kaufaktionen ihr Rüstungsimperium abzusichern. Nach und nach wurden kleinere Rüstungsfirmen wie die Waffenfabrik Mauser oder die Bodenseewerke-Gerätetechnik eingesackt. Der Erfolg blieb aus. Den 20prozentigen Zuwachs in der Wehrtechnik auf 1,4 Milliarden DM erzielte Diehl (Umsatz: 2,9 Milliarden DM) als Generalunternehmer für internationale Gemeinschaftsprojekte, für die kräftig zugekauft werden muß. Der Weltmarktführer bei Gleisketten und neben Rheinmetall größte Heeresausstatter befindet sich neuerdings wieder auf dem Rückzug aus dem Rüstungsgeschäft: 1.000 der rund 15.000 Rüstungsarbeiter sollen entlassen werden, das Munitionswerk Rattingen wird stillgelegt. Ein bunter Gemischtwarenladen aus Autoelektrik, Schaltsystemen, Uhren bis hin zu Spezialfahrzeugen für Kanalreinigung und Postzustellung soll künftig für Wachstum sorgen. Aber auch in der Wehrtechnik bieten sich Umkehrmöglichkeiten an: Diehl mischt kräftig bei der Verschrottung und Demilitarisierung der kriegstechnischen Gerätschaften mit.
Einen weitaus kräftigeren Schwenk hat der Panzerbauer Krauss-Maffei vollzogen. Aus den Hirschauer Montagehallen im Norden Münchens rollte jahrelang eines der Renommierprodukte der Bundeswehr: der Kampfpanzer Leopard-2. Das Geschäft mit den Tanks ist gelaufen. Der Auftrag endet 1992 mit einer Restlieferung von 40 Stück; einen neuen Leo wird es nicht geben. Bereits im vergangenen Jahr mußte das Unternehmen, das neben Kettenfahrzeugen mit Flugabwehrraketen und Kriegselektronik handelt, einen Einbruch der Rüstungsaufträge um 56 Prozent hinnehmen. Wie kaum einem anderen deutschen Rüstungsunternehmen (Konzernumsatz 1,4 Milliarden DM) ist es dem traditionsreichen Lokomotivenproduzenten jedoch gelungen, seinen Wehrtechnikumsatz, der 1983 noch 80 Prozent betrug, mit Umstellungsprogrammen auf unter 50 Prozent zu drücken. In Hirschau besann man sich frühzeitig auf die Schienenverkehrstechnik und den Maschinenbau zurück. Heute sind der ICE-Triebwagen und Preßmaschinen für CD- Platten der neue Renner, in der Kunststoff- und Automationstechnik wird ein zukünftiger Wachstumsbereich gesehen. Dennoch mußte Vorstandchef Burkhard Wollschläger im Juni Konsequenzen aus dem rückläufigen Rüstungsgeschäft verkünden: In einem weiteren „moderaten Abbau“ werde die Zahl der Rüstungsbeschäftigten bis Ende 1991 um 100 auf 1.000 gesenkt.
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