Wider das Vergessen

■ Mahnmal erinnert an erste Juden-Deportationen

Berlin (taz) — Vor genau fünfzig Jahren verließen die ersten Züge den Güterbahnhof Grunewald in Richtung Ghetto Lodz. Wenig später fuhren die Waggons direkt ins Konzentrationslager Auschwitz nach Polen. Am Bahnhof Grunewald wurde gestern aus diesem Anlaß ein Gedenkstein enthüllt, der an die Deportationen jüdischer Bewohner der Stadt Berlin in die nationalsozialistischen Konzentrationslager erinnert. Das Mahnmal des Lodzer Bildhauers Karol Broniatowski ist eine 18 Meter breite und drei Meter hohe Betonwand, in die gehende menschliche Gestalten als Negativabdruck eingelassen sind. Eine Gedenktafel ruft dazu auf, „jeder Mißachtung des Lebens und der Würde des Menschen mutig und ohne Zögern entgegenzutreten“. Broniatowski sieht sein Werk ganz nüchtern: „Von den Menschen ist nichts geblieben, nur unser Gedächtnis. So habe ich versucht, diese Nichtexistenz zu materialisieren.“ Die Nationalsozialisten deportierten 50.000 Menschen von Berliner Bahnhöfen in Gebiete östlich der damaligen Reichsgrenzen und der eroberten Gebiete, ab 1944 in deutsche Konzentrationslager. Von der Rampe des früheren Grunewalder Güterbahnhofs wurden am 18. Oktober 1941 die ersten jüdischen Bürger in Vernichtungslager und Ghettos „ausgesiedelt“. Der erste Transport, von den Nationalsozialisten perfiderweise „Welle I“ genannt, ging nach Lodz. Über 500 Berliner Juden wurden an diesem Tag deportiert, sechs Tage später nochmal genauso viele. Kontinuierlich bis zum Februar 1945 rollten die Deportationszüge in die Vernichtungslager. Heinz Galinski, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Berlins und des Zentralrats der Juden in Deutschland, warnte davor, die Gewalttaten gegen Ausländer in den vergangenen Wochen zu verdrängen und zur Tagesordnung überzugehen. Alle Bundesbürger müßten sich für die Menschen einsetzen, die als Opfer des neuen nationalistischen Hasses des Schutzes bedürften. Galinski, der selbst Auschwitz er- und überlebt hat, appellierte an die Zivilcourage eines jeden Menschen: „Es hat sich damals und danach erwiesen, daß es der falsche Weg war, die Augen zu verschließen.“ Auch einen Seitenhieb in Richtung Politiker ließ Galinski sich nicht nehmen: „Das sollten all jene bedenken, die heute dazu neigen, die neuen Nachrichten über Gewalttaten gegen Ausländer zu verdrängen und zur Tagesordnung überzugehen.“ Der nie leise auftretende Galinski übte auch vorsichtig Selbstkritik. Angesichts der Ausländerhatz habe er bis heute das Gefühl, „daß wir Überlebenden die ganzen Jahre nicht laut genug gerufen haben“. itz