: Vom Schweigen unter dem Glück
■ Öffentliche Probe bei Shakespeare's: Dagmar Papulas Familien-Tragikomödie „Unter dem Glück“
„Haben wir die fünf Telefone?“ Norbert Kentrup sucht Requisiten zusammen. Ein Textbuch knallt auf die Bühne. Und die Regisseurin ist noch nicht da! 19.30 Uhr, die Shakespeare-Company probt „Unter dem Glück“, das neue Stück von Dagmar Papula, und wer will, darf zusehen. „Fangen wir schon mal ohne die Barbara an.“ Barbara Abend ist die Regisseurin. Doch zuvor begrüßen die drei Schauspielerinnen und zwei Schauspieler, die in der Inszenierung zu Geschwistern werden, die gut zweihundert Probeninteressierten und verlieren einige Worte zum Stück „Unter dem Glück“. Eine Tragikomödie über das Schweigen, eine Geschichte vom Nicht-Reden in der Familie. Zum 70sten Geburtstag der Mutter treffen sich die Geschwister im Elternhaus, aus dem sie plötzlich nicht mehr herauskommen.
Familienfeste beginnen mit dem Anruf von Mutti. Dieter, Kathy und Angela hängen sich an die Apparate, fletzen sich in einen Sessel. Juliane steht mit dem Rücken zum Publikum im Hintergrund — sie ist bei Mutti wohnen geblieben. Dieter ( Norbert Kentrup) sitzt vor einem Fernseher, den es auf der Bühne noch nicht gibt. Leicht gelangweilt — „Ja, Mutti, natürlich komme ich, ja“ — hält er den Hörer ans Ohr, während er seinen Schuh als Fernbedienung benutzt. Karin Winkler ist Anna, die unruhig mit einer Nagelfeile herumspielt und schon andeutet, daß sie nicht zu denen gehört, die sich schnell von Mutti schockieren lassen. Kathy, Barbara Kratz, ruft aus Ägypten an, hat Probleme mit der Telefonleitung.
Die Geschwister treffen zuhause ein. Sie fallen mit ihren Begrüßungsritualen ins Kindische zurück. Lacher erntet Dieter mit angetäuschten Boxhieben und herausgestreckter Zunge. Stöhnen und Kichern im Publikum, als die Geschwister ihr „Happy birthday“ nochmal auf der Blockflöte üben.
Warum eigentlich dieser Vorstoß in die Öffentlichkeit zu diesem frühen Probenstadium? Norbert Kentrup: „Das ist eine Möglichkeit für Publikum und Ensemble, neue Erfahrungen zu machen, etwas miteinander zu begreifen. Wir merken z. B., wo die Lacher im Stück sitzen, und bekommen auch ganz praktische Korrekturen. Wir waren in einer Szene alle fünf zusammen auf den Sessel geklettert — aber ohne die Schuhe auszuziehen — wie das Publikum merkte, war das ein Unding. Das haben wir schleunigst geändert.“
Im Foyer setzt sich der offene Probenabend bei einer Diskussion mit Dagmar Papula fort. Warum sie nicht selbst Regie führe, fragt einer. „Regie ist ein anderes Handwerk“, das sie eigentlich langweilig finde. Außerdem schaue sie Barbara Abend gerne zu. Die Regisseurin vom inzwischen geschlossenen Ostberliner Theater im Palast hatte den Kontakt zur Company schon vor der Maueröffnung gesucht, weil sie sich für Papulas Stück „Ich, Paula, ...“ interessiert hatte. Nach der „Abwicklung“ des Ostberliner Theaters bot die Company die Regie für „Unter dem Glück“ an. Sprachlosigkeit zwischen den Generationen gab es nicht nur im Westen.
Ob sie denn beim Schreiben vor Augen habe, mit wem aus der Company sie die einzelnen Rollen besetzen könne. „Keineswegs“, antwortet Papula. Es stehe ja nicht von vornherein fest, ob die Company ihr Stück aufführen würde. Zweitens korrigiere sie in Gesprächen ihre Vorstellungen von den Figuren. Dieter, den kühl rechnenden Ingenieur, habe sie eher hager und streng im Kopf gehabt. Mit Norbert Kentrup sei die Figur nun geradezu kontrapunktisch besetzt. Die Bühnenwirkung verstärke sich sogar, wenn solch ein bacchantischer Typ sich in reduzierter Körperlichkeit übe. juan
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