MÄRCHENSTUNDE: Kopfgeburt
■ Was einem Paar passierte, das entschied, ein Kind in die Welt zu setzen
Es war einmal ein junges Paar. Das lebte zu einer Zeit, als alle Welt davon sprach, junge Familien und deren Gründung zu unterstützen. Wie schön. Die zwei, ermuntert von allerlei lautem Getöse und großflächigen Werbekampagnen über finanzielle und soziale Unterstützung, entschlossen sich also, auch unter widrigen Umständen, ein Kind das Licht der Welt erblicken zu lassen. Beide befanden sich mitten im Studium; sich gegenseitig ermunternd, blickten sie anfangs recht naiv und zuversichtlich der Zukunft entgegen. Denn was konnte ihnen schon Schlimmes passieren, dachten beide.
Nun zählte die Frau jedoch nicht zu den sogenannten „normierten Fällen“, wie die Bürokratie zu sagen pflegte. Sie kassierte nicht Bafög noch lag sie ihren Eltern auf der Tasche. Allein durch eine Halbtagsstelle finanzierte sie ihr Studium. Ihr Vater, ein kleiner Staatsdiener, versicherte die Tochter gleich mit. So kam es denn auch, daß das Paar der erste finanzielle Schock ereilte, als sich herausstellte, daß dadurch ein Ausschluß von sonst üblichen Zahlungen während der gesetzlich vorgeschriebenen Schutzfristen für Mütter vor und nach der Entbindung eintrat. Schockiert hörten beide von diesem Gesetz, das besagte, daß in dieser Zeit Mütter normalerweise, kalendertäglich berechnet, einen Betrag von DM 25.- von der Krankenkasse und die Differenz des kalendertäglichen Arbeitslohnes von ihrem Arbeitgeber erhalten sollten. In unserem Falle verdiente besagte Studentin 1.200.- DM, geteilt durch 30 (Kalendertage). Daraus ergaben sich 40.- DM pro Tag. Das Paar rechnete weiter. Zog die 25.- DM, die normalerweise von der Krankenkasse zu tragen waren, ab, und hatte unterm Strich für den Arbeitgeber pro Tag summa summarum müde DM 15.- pro Tag mal 30 (Kalendertage) = 450.- DM im Monat.
So sehr sie dies auch drehten und wendeten, die private Kasse zahlte nichts, es blieb bei den 450.- DM vom Arbeitgeber. Unser Paar nun fragte sich, wie man denn die Zeit von drei Monaten, die sich durch erhöhte Ausgaben auszeichnete, überbrücken könnte, und das mit einer kläglichen monatlichen Summe in genannter Höhe. Kurz flammte wieder Optimismus in ihnen auf. „Nun, solch eine Lücke kann es doch in unserem hochgelobten sozialen Netz nicht geben“, sprachen sie und zogen aus, um ihr Unglück zu mildern.
Ihr erstes Anlaufziel war das Bundesversicherungsamt. Es war zuständig u.a. für die Zahlung von Mutterschaftsgeld an privat versicherte Frauen. Die von Amts wegen zu erwartende Zahlung betrug für den gesamten Zeitraum der „Schutzfrist“ (drei Monate) im Höchstfalle einmalig 400.- DM. Jeder konnte sich so ausrechnen, daß damit auch bei guter Haushaltsführung nicht viel zu kitten war. Der Bauch der Frau indes wuchs. So schnell wollten die zwei nicht aufgeben. Not war eine exzellente Motivation.
Wurde schon erwähnt, daß die angehenden Eltern stolze Besitzer eines Wohnberechtigungsscheines mit Dringlichkeit waren, aber ohne gemeinsame Wohnung? Nein? Unser Paar wandte sich also an die Stiftung „Hilfe für die Familie“. Dort, so dachten sie, könnten sie ein Almosen empfangen, eine einmalige Zahlung zur Überbrückung des Engpasses erbitten. Doch wie in jedem richtigen Märchen gelangte auch hier der Held (das Heldenpaar) nicht ohne Sieg über den Papiertiger auch nur in die Nähe des Ziels. Man schickte von Amts wegen eine Ablehnung. Erst müßten Negativbescheide von allen anderen, möglicherweise zahlungsverpflichteten Institutionen her. Also zogen unsere Helden erneut aus, Abenteuer zu bestehen.
Sozialamt hieß nun der nächste Drache, den es zu besiegen galt. Doch, was lernte und lernt der Mitarbeiter einer öffentlichen Behörde als erstes? Nun, die Antwort war nicht schwer: Prüfe stets zuallererst deine Zuständigkeit, sonst investierst du womöglich wertvolle Kraft und Zeit, ganz umsonst. Die Flure waren lang, der Rücken der Frau tat weh, die Hoffnung schwand. Keine der Abteilungen war zunächst für die Überzeugung zu gewinnen, zuständig zu sein, auch nicht für einen Bescheid, daß sie keine Leistungen zahlen würden.... schließlich, so die Litanei, wäre die Betroffene nicht beschäftigungslos und wollte nur einen kurzfristigen Mangel überbrücken. Zudem wäre sie Studentin, und die kassierten doch entweder Bafög oder verfügten über Geld von den Eltern. Doch unsere Heldin hatte schon zu lange studiert, um noch Bafög zu erhalten. Und die Eltern? Der Vater, wie gesagt, kleiner Beamter. Die Mutter stritt schon seit einem Jahr mit der BFA um Bewilligung ihrer Rente.
Nach einiger Überzeugungsarbeit erklärte sich schließlich das Amt für Ausbildungsförderung beim Sozialamt für zuständig. Erbeten wurde eine sogenannte Hilfe zum Lebensunterhalt für die Dauer der Schutzfrist sowie die Zahlung der Babyerstausstattung in Höhe von 348.- DM.
Inzwischen war der Entbindungstermin nur noch drei Wochen entfernt. Unsere Geschichte nähert sich dem bitteren und auch offenen Ende. Das Bundesversicherungsamt wollte die Zahlung von 400.- DM erst nach vollendeter Geburt leisten, und das auch nur, wenn es eine Bescheinigung vom Arbeitgeber über die Höhe des seinerseits zu zahlenden Differenzbeitrages erhielte. Zur Erinnerung: Dieser betrug 450.- DM pro Kalendermonat. Der Arbeitgeber nun verwies die werdende Mutter seinerseits auf §14 Mutterschutzgesetz, der besagte, daß der Arbeitgeber nur dann zu einer Zahlung verpflichtet wäre und diese auch nur dann berechnen könnte, wenn eine Krankenkasse den Differenzbetrag zahlte, oder die Bundesversicherungsanstalt leistete... Schließlich sollte doch keine/r an des Staates Busen genährt werden, der/die nicht wirklich der Unterstützung bedurfte!
Da konnte Frau nur hoffen, daß selbiger (Busen) der werdenden Mutter den Dienst nicht versagen würde, denn sonst müßte nicht nur sie hungern! Aber Gott sei Dank, die junge Frau war bei der Kirche beschäftigt. Und dieser Vorgang war nicht antragspflichtig!
Kurz vor der Geburt wurde die Hilfe zum Lebensunterhalt sowie die Babyausstattung vom Sozialamt abgelehnt. Bettina Herms
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