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„Die Bedenken der Allgemeinheit zerstreuen“

■ Die EG arbeitet mit Volldampf an der Umsetzung ihres Grundsatzprogramms zur Förderung der Gentechnologie

„Die vollständige industrielle Verbreitung der Biotechnologie“ wollen die Eurokraten gewährleisten. Dazu sollen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die „umfassend genug sind, um die Bedenken der Allgemeinheit zu zerstreuen, zugleich aber auch der Industrie einen Anreiz geben, die Biotechnologie zu nutzen“. Dies beschlossen die EG- Kommissare unter Leitung ihres für den Binnenmarkt zuständigen Kollegen Martin Bangemann im April dieses Jahres. Seitdem basteln ihre Mitarbeiter an der Umsetzung des Grundsatzdokuments zur „Förderung eines wettbewerbsorientierten Umfeldes für die industrielle Anwendung der Biotechnologie in der Gemeinschaft“.

Einen ersten Erfolg erzielten die beamteten Gen-Tech-Fans, als der in der EG entscheidende Ministerrat im Juli ihr Konzept für die Behandlung von Pestiziden, die genmanipulierte Organismen enthalten, absegnete. Dieses Gesetz, das von den Mitgliedsregierungen noch umgesetzt werden muß, dient als Vorbild für eine ganze Reihe anderer Richtlinien oder Direktiven, wie Gesetze auf EG-Ebene genannt werden, die zur Zeit in Vorbereitung sind. Ob Pharmazeutika, Lebensmittel, Pflanzen, oder Tiere — bei immer mehr Produkten werden gentechnologische Verfahren angewandt. Dazu müßten eigentlich die Vorschriften verschärft werden. Doch in der EG-Behörde gewinnt die Überzeugung Oberhand, daß „eine besondere Gesetzgebung für die Anwendung von gentechnisch veränderten Organismen wissenschaftlich nicht gerechtfertigt ist“.

Mit anderen Worten: Für Pestizide, Lebensmittel oder Pharmazeutika sollen jeweils allgemeine Vorschriften gelten, egal, ob sie mit gentechnischen, chemischen oder sonstigen Mitteln hergestellt wurden. Kritiker halten die Einführung dieses Konzepts für einen geschickten Schachzug, um zwei im April 1990 von den EG-Institutionen verabschiedete Kontrollgesetze für genmanipulierte Organismen auszuhebeln. Denn gegen die EG-Richtlinien über die Freisetzung von genetisch manipulierten Lebewesen in die Umwelt sowie über ihre Behandlung in Labors und Fabriken läuft die Industrie seit Monaten Sturm. Die darin vorgeschriebenen Sicherheitsauflagen verursachten beträchtliche Mehrkosten, so die Klage. Deswegen sollen die umstrittenen Passagen zur Vermarktung in den beiden Richtlinien, die von den zwölf Mitgliedsstaaten bis heute in nationales Gesetz umgesetzt werden mußten, in Zukunft einfach umgangen werden können.

Dazu hatte die EG-Behörde auf Drängen der High-Tech-Lobby bereits im Frühjahr das Thema Gentechnologie zur Chefsache erklärt und das „Koordinationskomitee Biotechnologie“ gegründet. Vorsitzender ist niemand geringerer als Generalsekretär David Williamson. Das Komitee sei notwendig geworden, weil die Entscheidungsstrukturen in der Kommission nicht ausgereicht hätten, die Konflikte zu lösen, die zwischen den verschiedenen Abteilungen über eine richtige Gen-Tech- Politik ausgebrochen waren. Welcher Seite Williamson sich zurechnet, wurde nach der Sommerpause deutlich: Schriftlich forderte er die zuständigen Mitarbeiter in der Generaldirektion Binnenmarkt auf, Änderungsanträge des Europaparlaments zu den von der Kommission vorgeschlagenen Pharma-Richtlinien über die Behandlung von gentechnischen Impfstoffen einfach zu ignorieren.

Schließlich stehen ungeheure Summen auf dem Spiel: Von heute 10 Milliarden DM, so schätzt die Gen- Lobby SAGB, könnte sich der Verkaufswert biotechnologischer Produkte weltweit auf über 160 Milliarden im Jahre 2000 steigern. Wie groß der Anteil Europas an diesem gigantischen Geschäft ausfällt, zwei Millionen potentielle Arbeitsplätze inbegriffen, hinge vom Verhalten der EG ab. Von diesem Argument sichtlich beeindruckt, versuchen die Gen- Tech-Fans in der EG-Behörde schon seit geraumer Zeit ein von den Landwirtschaftsministern beschlossenes Moratorium für die Anwendung der Superdroge r-BST zur Erhöhung der Milchproduktion zu unterlaufen. Die Schonfrist für Europas Milchkühe läuft Ende Dezember ab.

Eine Verlängerung ist unwahrscheinlich, nachdem der in der Abteilung Binnenmarkt der EG-Kommission angesiedelte „Ausschuß für Tierarzneimittel“ bereits im Frühjahr die Zulassung des gentechnisch hergestellten Hormons grundsätzlich genehmigte. Dies führte zu der „absurden Situation“, so ein Kommissionsmitarbeiter, daß die Droge zwar zugelassen, ihre Anwendung aber zumindest bis Ende des Jahres verboten ist; ein Zustand, der von Mitgliedern des Veterinärausschusses herbeigeführt wurde, die, wie Bangemann zugeben mußte, zum Teil auf der Gehaltsliste der Industrie stehen. Da die pekuniäre Verwertung all dieser neuen Produkte nur garantiert ist, wenn sie patentrechtlich abgesichert sind, befindet sich auch das EG-Gesetz über die Patentierung biotechnologischer Erfindungen in der Endphase. Es soll Ende des Jahres beschlossen werden.

Immerhin — einen Trost gibt es für die Gen-Kritiker: Zur Zeit bildet die EG-Behörde eine „Beratungseinrichtung, um ethische Fragen klar zu erkennen und zu diskutieren“. bull

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