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Klein-Jugoslawien statt Groß-Serbien

■ Gegenplan zum EG-Vorschlag ist nun von serbischer Seite vorgelegt/ Die serbischen autonomen Gebiete in Kroatien und Bosnien erhalten Rechte, für Albaner und Ungarn ändert sich nichts

Belgrad (afp/taz) — Serbien will durch eine neue Initiative bei der Haager Friedenskonferenz zu Jugoslawien offenbar seine politische Isolation aufheben. Das serbisch dominierte Rumpfpräsidium Jugoslawiens schlug am Dienstag abend die Gründung eines „Klein-Jugoslawiens“ vor, was als Alternative zum EG-Vorschlag zur Neuordnung des Vielvölkerstaates verstanden wird. Darin wird die Beibehaltung einer „jugoslawischen Föderation von gleichberechtigten Republiken und föderalen Einheiten“ vorgesehen, denen ein Sonderstatus eingeräumt werden soll, wenn sie der jugoslawischen Gemeinschaft angehören wollen. Es handele sich um ein Staatenbündnis, das auch den Republiken offenstehe, die sich bereits für unabhängig und souverän erklärt haben, hieß es. Der Neuordnung müsse jedoch eine neue Festlegung der Grenzen vorausgehen. Das geplante „Klein-Jugoslawien“ soll etwa die Hälfte der jugoslawischen Bevölkerung und nahezu zwei Drittel des bisherigen Staatsgebiets umfassen. Dazu sollen Serbien mit 9,5 Millionen Einwohnern, Montenegro mit 600.000 Einwohnern, die beiden „autonomen serbischen Gebiete“ in Kroatien mit rund 300.000 Einwohnern und vier „autonome serbische Regionen“ in Bosnien-Herzegowina mit insgesamt 1,5 Millionen Menschen gehören. Die überwiegend von Muslimanen bewohnten Gebiete Bosniens, dessen Parlament sich bereits für die Souveränität ausgesprochen hat, wären dann geographisch völlig von dieser Föderation eingeschlossen. Der serbische Plan weicht in drei wesentlichen Punkten von dem EG-Vorschlag ab: Er erkennt die Unantastbarkeit der Grenzen nicht an. Die Regionen mit Sonderstatus sollen nicht mehr den Republiken unterstellt sein, denen sie jetzt zugeordnet sind, sondern der Föderation direkt unterstehen. Zudem wird keine Bildung von Regionen mit Sonderstatus in den Republiken vorgesehen, die sich nicht für unabhängig oder souverän erklären. Damit können die Albaner im Kosovo beispielsweise keinen besonderen Status erhalten. Der Plan erfüllt einige wesentliche Ziele Serbiens: Zusammenführung aller über mehrere Republiken verstreuten Serben Jugoslawiens in einem Staat, Fortbestand des rechtlichen Status. Zudem bleibt dadurch die gegenwärtige Struktur der Vielvölkerrepublik Serbien unangetastet. Für die Minderheiten wie den genannten Albaner, aber auch den Ungarn ändert sich nichts. Unberücksichtigt bleibt auch die Minderheit der Roma. Ein erstes Treffen der Vertreter der Republiken Serbien und Montenegro sowie der selbsternannten autonomen serbischen Regionen in Kroatien und Bosnien-Herzegowina sollte bereits am Mittwoch in Belgrad stattfinden.

Montenegros Führung gegenüber Serbien gespalten

Der EG-Vorschlag war außer von Serbien in Den Haag von allen fünf jugoslawischen Republiken, wenn auch mit Vorbehalten, akzeptiert worden. Sogar der Präsident von Montenegro, Momir Bulatovic, hatte ihm zugestimmt und sich damit erstmals von dem großen Bruder Serbien gelöst. Der serbische Alternativentwurf wurde unterdessen von dem montenegrinischen Vertreter im Staatspräsidium, Branko Kostic, unterstützt, der das Verhalten seines Präsidenten Bulatovic mißbilligt hatte. Damit zeigen sich Risse in der montenegrinischen Führung, die auch einem Meinungsdisput in der Bevölkerung entsprechen. Traditionell stehen Befürworter einer eigenständigen montenegrinischen Identität Befürwortern einer engen Anlehnung an Serbien gegenüber.

Unterdessen verkündete Verteidigungsminister Veljko Kadijevic die Mobilisierung sämtlicher Reservisten in Serbien und Montenegro sowie in den autonomen serbischen Gebieten. Am Dienstag griff Kadijevic scharf Kroatien an, das die vereinbarte Waffenruhe gebrochen habe. Auch die EG und Deutschland standen im Zentrum seiner Kritik. Deutschland sei zum zum dritten Mal in diesem Jahrhundert dabei, Jugoslawien anzugreifen. Er warnte England und Frankreich vor Deutschland. Helene Despic-Popovic

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