: Wem gehört das Königreich Marokko?
Herrscher Hassan hat die Wirtschaft an sich gerissen/ In der Bourgeoisie regt sich Widerstand ■ Von Pablo Cargo
In jenen linden Dezembertagen 1990, als König Hassan II. die Hungerrevolte von Fes zusammenschießen ließ, brüteten seine Hofökonomen über einem Gesetz zur Privatisierung von 112 staatlichen Banken und Unternehmen. Einem Lehrstück aus der Alchemie gleich, mußten sie konsterniert feststellen, wie im Land aus dem Blei politischer Macht das Gold persönlichen Reichtums gegossen wird: Die marokkanische Wirtschaft wird von einem polypenhaften Konzern, der „Omnium Nord-Africain“ (ONA), beherrscht, dessen Hauptaktionär kein anderer als Hassan II. ist.
Die allmächtige ONA kontrolliert zehn Lebensmittelgruppen, die ein Viertel des Marktes abdecken, die größte Privatbank „Banque commerciale du Maroc“ (BCM) und drei weitere Finanzinstitute, zwei Versicherungen, eine TV-Kette, sechs Minengesellschaften, zwei Chemiekonzerne, drei Autofabriken, zwei Transportunternehmen, eine Zeitung samt Druckereien, drei Textilhersteller, ein Fischereiunternehmen sowie zwei große Tourismusgruppen. Hinzu kommen unzählige verdeckte Beteiligungen; unter dem Strich ein Imperium mit gut 130 Unternehmen. Allein der Immobiliengesellschaft der ONA-Holding gehören ganze Straßenzüge in Rabat, Fes, Casablanca, Marrakesch, Agadir und weite Landstriche fruchtbaren Bodens im ganzen Land. Weit hinter der ONA abgeschlagen folgen zehn größere private Industriegruppen, angeführt vom Konzern des früheren Premierministers Karim Lamrani (eine Bank, 29 Unternehmen) und der Holding des Investors Moulay Ali Kettani (eine Bank, 32 Firmen).
Kurzum, schreibt ein mutiger, aber anonym bleibender Ökonom in der Zeitung 'Monde diplomatique‘, es gehe in der marokkanischen Wirtschaft nichts, ohne direkt oder indirekt mit der ONA und dem König in Berührung zu kommen. Doch das Vermögen Hassans, der als einer der reichsten Männer der Welt gilt, offenzulegen, gilt in Marokko als Sakrileg; des Königs Wirtschaftsaktivitäten zu enttarnen, ist gar ein staatszersetzender Akt. Die jetzt durchsickernden Innenansichten sind allein der schlechten Laune düpierter marokkanischer Unternehmer zu verdanken, die ihren Expansionsdrang durch unlautere Vorteile des königlichen Entrepreneurs gebremst sehen. Das Vermögen des Souveräns soll alle anderen überstrahlen, so will es ein ungeschriebenes Gesetz. „Die Logik der absoluten königlichen Macht“, schreibt das Blatt 'Nord- sud export consultants‘, „impliziert die Anhäufung eines Reichtums, gegen die kein anderer konkurrieren kann oder darf.“
Herrscher Hassan baute sein Imperium auf früheren kolonialen Alliancen. Die ONA wuchs um einen Kern, der schon während der Kolonialzeit der französischen Bank Paribas die Kontrolle über Marokkos Schätze erlaubte. Paribas und andere französische Banken finanzierten Anfang der 80er Jahre die Übernahme der Gruppen Siham und Cogespar. Hassan hat darüber hinaus die ONA durch Tauschbeteiligungen mit der Banque Nationale de Paris (BNP), der Versicherungsgruppe AGF, Peugeot, Bolloré und dem Club Méditerranée verbandelt. Letzterer hat versprochen, in den kommenden Jahren eine Milliarde D- Mark zu investieren. Die ONA hat sich zehn Prozent von Diners Club und von Havas Voyages zugelegt, hält Beteiligungen an diversen internationalen Transport- und Investitionsfirmen und hegt mit der BNP, die Hassans Gruppe einen 13-Prozent- Part an der marokkanischen Bank BMCI brachte, lukrative Absichten im Lebensmittelbereich. Kraft dieser Stärke hält Fouad Filali, Verwaltungsratsdelegierter und Schwiegersohn des Königs, ständig Ausschau nach neuen Investitionsfeldern. „Das wichtigste für uns ist“, so Filali, „in Europa ein Netz von Allianzen zu knüpfen.“
Des Königs Monopoly, immer sorgfältig mit den Erlassen zur Deregulierung der Wirtschaft, freut auch das internationale Kapital. Hassan unternimmt auch alles, trotz der 21 Milliarden US-Dollar Außenschulden, Weltbank und Internationalen Währungsfonds milde zu stimmen. Während unter dem harten Regiment des IWF-Austeritätsprogrammes rund 6 Millionen Marokkaner unter die Armutsgrenze abgesunken sind, ziehen die französischen und europäischen Banken jedes Jahr 700 Millionen Dollar aus dem Land.
Der König aber braucht seine ausländischen Freunde, um die aufstrebende Bourgeoisie unter seiner Fuchtel zu halten. Das marokkanische System, der „Makhzen“, dient allein dem Machterhalt seines Thrones. Mit Repression und einer ausgeklügelten Klientelwirtschaft, die allen wichtigen Gruppen der Führungsschicht kleine Machtparzellen zuweist, wird das Imperium gesichert. Die „Marokkanisierung“ der Unternehmen 1973 konzentrierte den nationalen Reichtum in den Händen von zehn Familienkonzernen, die alle dem Thron nahestehen. Sie kontrollieren 80 Prozent des Lebensmittelbereichs, zwei Drittel der Industrie und mehr als die Hälfte der Banken. Mit der Wirtschaftskrise kam das Klientelsystem jedoch ins Wanken. Vorneweg die Handelsbourgeoisie mochte des Königs Privilegienpolitik nicht mehr länger hinnehmen. Im Herbst 1989 kritisierte Bennani Smirès, der Präsident des marokkanischen Unternehmerverbandes, den Status quo zum ersten Mal offen. Seine Worte für die Öffnung: „Wir brauchen viele ONAs.“ Darum tobt jetzt der Kampf bei der anstehenden Privatisierung. Hassan II., befürchten jedoch viele Wirtschaftsleute, werde die Reformen wieder so einrichten, daß alle wirtschaftliche Macht in seinen Händen bleibe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen