: Die nahe Welt ist jetzt wieder näher gerückt
■ Der Ostberliner Verein »BAOBAB-Infoladen Eine Welt« / Begrenzter Mietvertrag setzt Zeitspanne für den Treffpunkt in der Winsstraße/ Zunehmend treten die hiesigen Probleme, zum Beispiel Ausländerhaß, in den Mittelpunkt der Arbeit
Prenzlau Berg. Bis vor kurzem herrschte im »BAOBAB-Infoladen Eine Welt« eine paradoxe Situation. Für den Treffpunkt des Vereins, in dem unter anderem über Südafrika, Nicaragua oder die Türkei gestritten, diskutiert und informiert wird, war die nahe Welt gleich um die Ecke sehr weit entfernt. Wer eine Botschaft übermitteln wollte, mußte dies postalisch, persönlich oder per Boten tun. Mit dem weißen Fleck in den gelben Seiten der Post hat es nun ein Ende, seitdem Mitte dieser Woche ein Telefon den Kontakt zur Außenwelt herstellt.
Bis zum Einzug des unabdingbaren Kommunikationsmittels war es ein weiter Weg. Der Laden in der Winsstraße 53 in Prenzlauer Berg wurde von verschiedenen Mitarbeitern nichtstaatlicher DDR-Solidaritätsgruppen im Februar 1990 besetzt. Bis dahin hatten sie unter dem Dach der Kirche gearbeitet, was gewisse Rücksichtnahmen und Kompromisse einschloß. »Uns hat die Unabhängigkeit gereizt«, sagt Johannes Kloßmann, der 1986 zu einer Nicaragua-Gruppe stieß. Über 10 Jahre hatten die rund 120 Quadratmeter großen Räume leergestanden. Die Besetzung, so Kloßmann, »kam gerade noch rechtzeitig«. Rechtzeitig, weil die Öffentlichkeit solchen Aktionen in den letzten Tagen der DDR durchaus mit Wohlwollen entgegensah. Schließlich zog die damalige Staatsbank der DDR den Plan zurück, dort eine Werkstatt für Geldautomaten einzurichten. Mit dem Verwalter des Hauses, das in Privatbesitz ist, einigte man sich auf einen Mietvertrag bis zum Sommer 1993. Optionen über eine weitere Nutzung gibt es nur für den Verkaufsladen »Eine Welt« in der nahen Wichertstraße, den der Verein für zunächst fünf Jahre anmieten konnte.
Die Scheiben des Infoladens in der Winsstraße ziert noch der rote Schriftzug »Dritte Welt—Zentrum«, wie der Titel des Vereins zu DDR- Zeiten lautete. Doch in diesem Jahr mußte sich der Verein aus formalrechtlichen Gründen umbenennen. »BAOBAB« heißt er nun — die afrikanische Bezeichnung für Affenbrotbaum, ein Treffpunkt der Menschen des schwarzen Kontinents. Dies symbolisiere »ganz gut das Bild, das im Hintergrund unserer Arbeit steht«, meint Kloßmann. Der 34jährige ist einer der acht ABM- Kräfte, die für den Verein arbeiten, der insgesamt rund 40 Leute umfaßt. Die Finanzierung läuft hauptsächlich über Spenden oder projektbezogene Gelder. Freimütig bekennt Kloßmann, daß »der ganze Kontext, der mit Geld und Verwaltung zu tun hat, uns aufhält und auch ziemlich nervt«. Gute Erfahrung habe man mit den westlichen Alternativberatern gemacht, die Projekte von der wirtschaftlichen Seite beraten. Die Mitarbeiter des Vereins fühlen sich ansonsten dem egalitären Prinzip verpflichtet: Basisdemokratie gehört zum Grundpfeiler. Auch der Vorstand habe kein Weisungsrecht, sei in die Arbeit mit einbezogen und diene insbesondere der Repräsentation nach außen, erzählt Kloßmann. Wie überall in der Alternativszene gibt es aber auch die Schere zwischen den Aktiven und weniger Aktiven. Und ein Phänomen, das Kloßmann im gesamten linken Spektrum festgestellt haben will: »Intoleranz und autoritäres Verhalten, so daß Diskussionen häufig nicht ehrlich geführt werden.«
Während der »Eine Welt-Laden« in der nahen Wichertstraße Produkte von Kleinbauern, Kooperativen, aber auch Erzeugnisse aus biologischem Anbau anbietet, dient der Infoladen vor allem als Treffpunkt für die diversen Arbeitsgruppen zur »Dritten Welt«. Seit kurzem formiert sich eine Anti-Rassismus-Gruppe. Die jüngsten Ereignisse in Deutschland, der zunehmende Ausländerhaß, die Überfälle von Rechtsradikalen haben die Akzente verschoben. Nicht daß dadurch die Solidarität mit den Menschen der »sogenannten Dritten Welt«, wie Kloßmann den unliebsamen Begriff abmildert, zurückgetreten ist, »aber was sich hier abspielt, betrifft mich derzeit stärker als die Diskussion über neue Weltwirtschaftsstrukturen«. Die Krise in Ostdeutschland bleibt auch nicht ohne Auswirkungen auf die Arbeit. Die sozialen Probleme hätten bei vielen Mitbürgern den »Blick für andere Länder und deren Schwierigkeiten verstellt«, wie Kloßmann festgestellt hat. So »blöd« der Ausdruck auch sei, man wolle auch »Bewußtseinsbildung« erreichen. Doch das sei schwierig. Nicht zuletzt deshalb, weil sich in der Winsstraße seit kurzem mehrere Kneipen angesiedelt haben. So gehen die Leute, die früher mangels Gelegenheit sich in den Vereinsladen verirrten, lieber ein paar Meter weiter. Dort lockt statt Informationen ein kräftiges Pils. Severin Weiland
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