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KOSLOWSKIS GITTA PLAUDERT VOM SOFA

Siehste!“ triumphierte Schaller neulich beim Fernsehn, als der verhärmte West-Psychoanalytiker die Lage analysierte (wie ein Politiker... „die Stimmung ist schlimmer als die Lage selbst“) und sagte: „Es geht ja nicht, daß wir alle unsere negativen Eigenschaften auf den jeweils anderen Deutschen projizieren. Sowohl die Westdeutschen wie die Ostdeutschen haben seelische Fehlentwicklungen gemacht, und die gilt es — und das ist harte Arbeit, wirklich harte Arbeit — aufzuarbeiten.“ „Siehste“, sagt Schaller wieder, der meint auch, daß wir alle voneinander lernen müssen, nicht nur wir von euch...“ „Meine Güte, Schaller“, sag' ich seufzend, „hast du das denn immer noch nicht gelernt, daß man nicht alles glauben darf, was im Fernsehn gesagt wird? Auch nicht den Analytikern? Also erst mal müßte dir doch auffallen, daß da viel zu viel von ,Arbeit‘ die Rede ist — da hat man doch schon von vornherein die Schnauze voll. Und zum andern. Entweder sind wir alle seelisch fehlentwickelt, dann ist die Lage noch viel schlimmer als die Stimmung. Oder aber die Lage ist nicht so schlimm, dann sind wir allerdings nicht seelisch fehlentwickelt. Außerdem“, fahre ich, so weit mir möglich, feinsinnig lächelnd fort, „sag mir doch mal bitte, wo ich seelische Defizite habe, die von jemandem wie dir ausgefüllt werden könnten — dafür hab' ich schließlich meinen Yoga-Lehrer, der mir zeigt, wie ich durch die Hände ein- und durch meine Füße wieder ausatme...“

Seit langer Zeit schreit Schaller wieder los — schade eigentlich, ich dachte, das hätten wir nun wenigstens hinter uns, wo ich ihm doch seit Tagen beibringe, daß immer, wenn er was nicht versteht und deshalb sauer wird, er nur ganz tief in sein Hara atmen muß, dann löst sich der Knoten durch sanftes Eindringen wie von selbst. „Du bist borniert, verwöhnt und arrogant gleichzeitig“, sagt mein geliebter Freund aus dem Osten jetzt ganz ruhig, und tatsächlich sehe ich befriedigt, wie sich dabei sein Bauch langsam aufwölbt und wieder abflacht. „Das ist richtig“, sage ich, „und genau das ist es, was ihr mit eurem blödem Wiedergutmachungs- und Stasi-Verarbeitungswahn nicht kapiert, und dazu möchte ich dir etwas von Baudelaire über die Verbindung von Spiritualität und Dandytum vortragen: „...und sich erinnern, daß in allem Wahnwitz Größe, in allen Exzessen Kraft steckt. Seltsamer Spiritualismus! Für die, welche zugleich seine Priester und seine Opfer sind, sind alle komplizierten materiellen Bedingungen, denen sie sich unterwerfen — von der untadeligen Toilette bis zu den gefährlichsten Kraftleistungen des Sports —, nichts als eine geeignete Gymnastik zur Stärkung des Willens und zur Disziplinierung der Seele. (...) Ob Incroyables oder Dandys, der Ursprung ist bei ihnen der gleiche; allen ist derselbe oppositionelle und revolutionäre Charakter gemeinsam; alle sind Repräsentanten dessen, was das Beste am menschlichen Stolz und Hochmut ist: jenes heutzutage nur allzu seltene Bedürfnis, die Trivialität zu bekämpfen und zu zerstören.“

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