: Mädchen sind doch doof!
■ Eine Studie der Universität Aachen zementiert Vorurteile
Liebe Eltern, atmen Sie alle, alle auf! Machen Sie sich keine unnötigen Sorgen mehr! Trinken Sie den morgens frischgepreßten Orangenzitronenmultivitaminmix lieber selbst, lassen Sie Ihre Töchter ruhigen Gewissens Nutella-Stullen mampfen — und setzen Sie all die kleinen bunten Chemo-Pillen wieder ab, die angeblich die Hirndurchblutung fördern und dauerhafte Konzentration versprechen.
In medias res, finden Sie sich damit ab: Mädchen sind schwach auf dem Felde der Mathematik. Schwächer gar als ihre Geschlechtsgenossen, die Jungen.
Gezittert und gebangt haben wir alle, und wir alle haben jetzt den ultimativen Beweis: Die Dyskalkulie — welch schön-schauriges Wort! —, also die „Teilleistungsschwäche Mathematik“ ist reine Frauensache.
Gesegnet seien zwei Männer, ohne die wir das niemals erfahren hätten: der Verleger Franz Cornelsen und Professor Karl Josef Klauer. Herr Cornelsen besitzt einen gleichnamigen Verlag und also reichlich Geld, mit dem er eine Studie finanziert hat. Die wiederum verfaßte federführend Herr Klauer vom Institut für Erziehungswissenschaft der Technischen Universität Aachen.
In einer umfangreichen Dokumentation, die der taz zugespielt wurde, springt uns auf Blatt 1 eine bange Frage ins Auge, die die folgenden Zahlen, Tabellen und verwirrend häufig auftretenden Korrelationen auf einen laienverständlichen Nenner bringt: „Ist Mathematik nichts für Mädchen?“ Nein, erfahren wir, sie ist es nicht.
Für die Studie wurden 546 Kinder aus 26 Grundschulklassen des dritten Schuljahres „erfaßt“. Diese 26 Klassen waren repräsentativ für alle dritten Klassen einer westdeutschen Großstadt. Es lag also ein Durchschnitt vor, der nach sozialwissenschaftlichen Kriterien durchaus aussagekräftig ist. Aber ach! Die unleugbaren Zahlen... Von 264 Mädchen sind 5,3 Prozent mathematisch-teilleistungsschwach, von 282 Jungen nur 3,5 Prozent.
Liebe Eltern, Einwände der Kritik hiergegen gibt es nicht. Sind Sie dennoch etwa der Meinung, zwischen 3,5 und 5,3 Prozent lägen lächerliche und allemal zu vernachlässigende 1,8 Prozentpunkte Unterschied? Sie halten die These der Herren für unhaltbar, die aufgrund eben dieser Prozente behaupten, Mädchen sind matheschwächer als Jungen?
Gemach, gemach! Die Studie ist seriös — zumindest aber gibt sie ehrenhafte Ziele vor. In ihrer Dokumentation heißt es: „Der Test besteht aus den fünf Subtests Leseverständnis, Wortschatz, Zahlenrechnen, Textaufgaben und Rechtschreibung. Außerdem wurde die Mathematiknote aus dem letzten Halbjahreszeugnis erhoben. Die Tests haben den Vorteil der Objektivität.“ Ein schwacher Trost, aber vielleicht doch einer: Cornelsen und Klauer haben herausgefunden, daß Mädchen besser rechtschreiben als Jungen... Thorsten Schmitz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen