: Der Klang als Idee und Diskette
Gert Jonkes „Sanftmut oder Der Ohrenmaschinist“ an der Berliner Schaubühne ■ Margit Knapp Cazzola
Die Spiralenform bestimmt die Bühne. Alles bezieht sie mit ein: die Wände, den Boden, die Bücher, die Partituren, und auch die Zuschauerreihen. Das Ganze gleicht einem Riesenohr, in dem Schauspieler und Publikum gewissermaßen zwangsläufig vereint sitzen. Die angedeuteten Gehörgänge, in denen das Spiel stattfindet, verdeutlichen den Konflikt: Der ertaubende Ludwig van Beethoven ringt mit seiner Vorstellung — im mehrfachen Sinn — von Musik, vom nur noch dem geistigen Ohr vernehmbaren Klang, von sich selbst, als Genie und Komponist. „Mein Reich ist in der Luft. Ich bin, was da ist“, beginnt Peter Fitz seinen über zweistündigen Nahezu-Monolog in der Theatersonate, dem 1990 in Graz aufgeführten Drama von Gert Jonke über Beethoven und die Entstehung der Hammerklaviersonate. Es ist eine Jonkesche Eskalation von Textmaterial, von Peter Fitz souverän verdichtet und spannend entwirrt. Egozentrisch verfängt der Meister sich in seinen Worttiraden, erkennt die Widersprüche, durchbricht seinen Größenwahn mit ironischen Rücknahmen, bekommt Angst vor sich selbst. Gelegentlich nimmt er einen Stuhl aus der Wand, aus den Ritzen, aus denen wechselndes Licht in warmen Pastellfarben fällt. Das Bühnenbild (Paul Lerchbaumer) unterstreicht die Zeit- und Schwerelosigkeit der Objekte, der abstrakten Klangfarbe. Die Wirklichkeit bleibt außen vor. Geräusche dringen in den Musentempel.
„Ich will das Licht auch hören lernen“ — Beethoven träumt vom „Luftresonanzschlauch“. Die Musik ist entmaterialisiert, die Erinnerung hingegen handfeste Materie. Während er an seine Kindheit zurückdenkt, entsteht sein Schattenbild auf der gegenüberliegenden Wand — ein schöner Moment.
Die Theatersonate ist eine Dreiecksgeschichte: van Beethoven, sein Adlatus und sein Werk. Gelegentlich taucht noch der Maler Ferdinand Waldmüller auf (Werner Rehm). Der arbeitet an seinem Beethoven-Porträt, und als er es endlich beendet hat (1823), gleicht es tatsächlich dem Original und zur anderen Hälfte dem eitel posierenden Peter Fitz. Der Adlatus Anton Schindler, auf der verzweifelten Suche nach Fakten für seine Biographie (1840), kann dem Genie und seinen hehren Gedankengängen freilich nicht folgen. Sein witziges und schleimiges Dienern macht ihn zu einer typisch österreichischen Figur der Theater- und Staatsgeschichte. Er steht in der Tradition des Kasperls und der Metternich-Beamten, was dem ohnehin altersmäßig untreu besetzten Hans Diehl (der historische Adlatus war viel jünger) seine Rolle erschwert. Der anbiedernde Jugendeifer des Verfassers der ersten Beethoven- Biographie wird schwer nachvollziehbar.
So bravourös sich Peter Fitz auch immer die Haare (Perücke) rauft, den Monstertext rezitiert, im weinroten Morgenmantel auf- und abschreitet oder im festlichen Anzug, am Mobiliar rüttelt oder in Partituren wühlt — in der Inszenierung von Klaus Metzger stiehlt ihm ein ganz anderer Protagonist die Schau: der Flügel. Wie gebannt starren alle auf den Computer-Flügel, sobald Bruchstücke der berühmten Sonate erklingen und sich die Tasten wie von Geisterhand bewegen. Peter Fitz sitzt halb dem Publikum zugewandt auf dem Klavierhocker, wild entschlossen, sein Werk vorzustellen, verzweifelt ob des Unverständnisses, auf das er stößt. Er trägt ein hörnerartiges, vergoldetes Hörgerät auf dem Kopf, das einmal mehr die bekannte Nähe von Tragik und Lächerlichkeit beweist. Derweilen spielt David Levine den MIDI-gesteuerten Flügel — Levines rechter Fuß reduziert auf control 64. Ironie der Inszenierung: die Musik als Idee, das Thema des Stücks, ist möglich nur durch technische Reproduzierbarkeit. Mit dieser Umkehrung des benjaminschen Gedankengangs fügt die Inszenierung dem schwierigen Text weitere Fragen hinzu, Anregungen, denen man sich gerne stellt.
Nur eines bleibt uneinsichtig: Was haben das intellektuelle Stück und seine abstrahierend elegante Inszenierung auf der Probebühne in Kreuzberg zu suchen? Warum spielt man es nicht am Lehniner Platz?
Gert Jonke: Sanftmut oder Der Ohrenmaschinist. Eine Theatersonate , mit Peter Fitz, Hans Diehl, Werner Rehm, Regie: Klaus Metzger, Bühne: Paul Lerchbaumer. Probebühne Cuvrystraße, Berlin- Kreuzberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen