piwik no script img

Behinderte Regie?

■ »Hermaphroditus« von Ivan Stanev im Hebbel-Theater

Eine Frau bekommt ein Kind. Ihr Mann ist teilnahmslos, und sie ist stolz. Dann bekommt sie wieder ein Kind, und er sehnt sich nach einer Geisha. Als sie wieder ein Kind bekommt, läßt er sich kastrieren. Er stirbt bei der Operation, doch seine Frau gebärt freudig weiter Monster und Mutanten, so daß die Erde ein Ort wird, den man nur noch fliehen kann.

Das ist der grobe Inhalt von Hermaphroditus, einem Text, der eigentlich gar keine Geschichte erzählt (denn auch der androgyne Titelheld kommt nur beiläufig vor) und auf der anderen Seite viele Geschichten gleichzeitig auf die Bühne bringt. Ivan Stanev (Autor, Regisseur und Bühnenbildner) bezieht sich auf, bzw. entleiht aus einen Gedichtband des Renaissance-Dichters Panormita.

Dieses Entleihen scheint auch das Programm seines selbsternannten »Theaters der Behinderten« zu sein, denn Ivan Stanev betrachtet die (Theater-)Welt als einen Requisitenfundus: Ein paar Steine von Peter Brook, ein japanisches Fenster samt überdimensionalem Papierschiff von Robert Wilson, hanfüberzogene Plastikrohre aus dem Off und den Rest des Interieurs aus der Postmoderne provinizieller Nachwuchsbühnenbildner zwischen Memmingen und Bayreuth, und fertig ist das Bühnenbild. Noch ein bißchen Weltschmerz von Rimbaud und Baudelaire, und das ganze kafkaesk überzogen, aber ohne etwas zu sagen, und fertig ist der Bühnentext. Etwas Minimalistik, etwas Commedia, zwischendrin viel Beckett und Ionesco und zum Schluß dann Schaubühne modern, und fertig ist die Theaterregie.

Alles so dermaßen zusammengepuzzelt, daß man Ivan Stanev glauben möchte, wenn er sagt, daß »sein Theater versucht, unter dem eigenen Niveau zu leben«.

Um keinen Irrtum aufkommen zu lassen: Man mag von Ivan Stanevs theatertheoretischen Erörterungen halten, was man will, dieser Theaterabend war bis zur Pause ein absolut gelungener. Denn selten sieht man sechs SchauspielerInnen mit soviel Spielfreude und Verwandlungskunst und solch hervorragende Schauspielleistung wie Samuel Fintzi als Kindmann Cosimo und auch als Psychopath Isbo oder Jeannette Spassova als filmreife Hippolyt(a) und Norbert Becker als Erfinder einer gigantischen Onaniermaschine. Und auch Dimitra Petrov und Barbara Bürk als japanisches Pärchen und Elmer Schmitz als vierfüßige Amme sowie Stefan Kraus als weinerlicher Pica zeigen überzeugendes Theater. Durch die Benutzung einer großen Palette schauspielerischer Führung, unterstützt durch Perücken, Masken, Sprachfehler und exaltierte Gestik, wird das Stück zu einer komödiantischen Kurzweil mit schnellem Szenenwechsel und ungeahnten Überraschungen.

Doch leider hält dies nur bis zur Pause. Danach entgleiten dem Autor-Regisseur sowohl das Konzept wie auch die Ideen, und er versucht diesen Verlust duch eine plötzliche Sinngebung wieder wettzumachen, mit dem Effekt, daß ein angenehm bunter Abend zu karger Schwarz- weiß-Malerei verkommt. Denn die urmutterhafte Gebärmaschine Frau wirft weiter und trägt damit zum Unheil dieser Welt bei (die Wurzel allen Übels ist die Rippe). Der bisher geschmähte und deshalb nicht existente Titelheld muß nun auftreten und nach einigem mythologischen Tralala die Erde, welche nun ein Ort voller Ungeheuer ist (was sich nicht bestreiten läßt), verlassen, da er/sie nicht mehr auf ihr leben kann. Ende schlecht, alles schlecht.

Wäre einem dieses Ende erspart geblieben, hätte man die Schaumschlägerei von Ivan Stanev verzeihen können und einen wunderbar komischen Abend erlebt. So aber kann man ihm nur raten, die Copy-Shop- Mentalität zusammen mit den Epigonen des Theaters hinter sich zu lassen und weiter zu arbeiten. Don't cry, work! Das schamhaft kärgliche Publikum im Hebbel-Theater mochte diese Aufführung gerne, obwohl einige schon vor der Pause den Saal verlassen hatten. Doch ein fast leeres Haus hatte diese Produktion in Anbetracht des sonstigen Angebots wirklich nicht verdient. York Reich

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen