: Vorgezogene Bescherung im Olympiastadion
■ Blau-Weiß 90 verlor nach 20 Monaten sein erstes Heimspiel in der 2.Bundesliga gegen den 1.FC St.Pauli deftig mit 1:5 2.000 der treuesten Berliner Fans verzweifelten, während 1.000 Anhänger aus St.Pauli euphorisch ihren Verein feierten
Charlottenburg (taz) — Irgendwas stimmte mit den Fußballern von Blau-Weiß 90 nicht. Was war es nur? Vielleicht ihre Kleidung. Ein Fan meinte gar, die Blau-Weißen hätten ruhig mit rotem Mantel und Wattebart spielen sollen, so freundlich verteilten sie die Geschenke an den Gast aus dem Bezirk des heiligen Paulus am Hamburger Berg.
Und wie es sich für richtig unerzogene Bengel gehört, nutzten die Paulianer die vorgezogene Bescherung schamlos aus, welche sie eigentlich nicht verdient hatten. Durch eine Serie von peinlichen Spielen, die ausgerechnet im Olympiastadion gegen Hertha (2:4) begann, hatten sie sich weit von der Tabellenspitze und dem Ziel des sofortigen Wiederaufstieges entfernt. Selbiges scheint nun den Blau-Weißen bevorzustehen. Nach dem 1:5 ist nicht nur der Abstand zum Ersten gewachsen, auch das Torverhältnis ist versaut, und die kommenden Spiele gegen Meppen, Hertha und Uerdingen lassen auf nicht allzu viele Punkte hoffen.
So war die Miene von Trainer Wofgang Metzler nach Spielschluß ein wenig säuerlich und verzerrt. Die Gäste aus St.Pauli zeigten eher Gesichter voll lausbübischer Freude. Dies alles hatte seinen Grund in den ungewöhnlichsten neunzig Minuten, die seit langem im Olympiastadion zu bestaunen waren. Nein, es waren wohl nur neun, im Höchstfalle 30 Minuten, die ein Ergebnis fabrizierten, was die knapp zweitausend Berliner Fans verzweifeln, die mitgereisten eintausend Pauli-Fans aber in seltene Verzückung geraten ließ.
Vor fast zwanzig Monaten verlor Blau-Weiß zum letzten Mal daheim gegen Hessen Kassel, und anschließend mußte der ebenso brave wie dicke Bernd Schumm sein Trainerstühlchen verlassen als Vorvorvorgänger des momentanen Chefs. Aber vor dem Spiel am Sonnabend war ein anderer Trainer arg auf die Kante gerutscht: St.Paulis Horst Wohlers. Nach einer Niederlage wäre er wohl fällig gewesen, statt dessen plumpsten dicke Wackersteine von seinem und seiner Spieler Herzen, vermutlich genau auf die Füße einiger Blau- Weißer, womit folgendes vielleicht besser zu erklären ist.
Die Narrenkappen im Berliner Possenspiel müssen diesmal leider an Thomas Kluge und Christian Niebel verteilt werden. Ersterer hieb nach fünf Minuten so elegant über den Ball, daß der hinter ihm stehende „Toni“ Sailer problemlos das erste Geschenk ins Tor piken konnte. Nur vier Minuten später bolzten Spieler beider Mannschaften vor dem Blau- Weiß-Tor solange, bis Niebel schließlich ins eigene Tor traf.
All dies hatte Verteidiger Levy wohl mental nicht verkraftet, so daß er sich an St.Paulis Hollerbach mit dem Ellbogen abreagierte und vom Platz flog. Damit war das Spiel gelaufen, sollte doch gerade Levy mit seinen Freistößen und Flanken die nun bitter nötigen Berliner Tore vorbereiten. Die durften weiter die Gäste schießen. So mußte sich Trainer Metzler immerhin damit trösten, „daß Katastrophen zum Glück selten sind“. Kollege Wohlers aber prophezeite nicht nur eine neue Erfolgsserie mit Zurückgewinnen des ersten Platzes, sondern sagte tatsächlich: „Ich glaub', uns liegt das Olympiastadion, wir spielen gerne hier.“ Mensch, Fussel! Schmiernik
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