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Gelenkige Leichen auf dem Monopoly-Brett Berlin

■ Ein schlechter Krimi unter falschem Namen

Es hat Zeiten gegeben, auch in Berlin, da gingen Leute mit literarischen Ambitionen zuerst einmal mit sich zu Rate und fragten sich, ob sie eine Sprache hätten für das, was ihnen auf dem Herzen lag. Blieb die Suche erfolglos, wurden sie Politiker, Soldat, Kaltmamsell. Seit sich Geld verdienen läßt mit dem Schreiben, schreibt so mancher wacker drauflos, und das geht zum Beispiel so: »Am Abend ging ich mit Maria ins Café Einstein. Sie sah bezaubernd aus. Ihr widerspenstiges Haar hatte sie mit einem umweltverträglichen Haarspray in Topform gebracht.« Oder: »Die Beine waren so komisch verdreht, wie es nur Tote können.« Die Frau, die ihr Haar tatsächlich mit Haarspray und nicht, wie wir alle, mit Fußpuder behandelt, stammt genau wie die gelenkige Leiche aus dem Roman Tod in der Schonzeit eines gewissen Artur Cravan. Dabei soll es sich laut Klappentext um das Pseudonym eines Journalisten handeln, »der mit Sitz in Berlin bei einer großen deutschen Wochenzeitung arbeitet«. Auf dem rückseitigen Einschlag des Buches befindet sich ein Photo, auf dem die Umrisse eines Mannes zu erkennen sind. Vermutlich die des Verfassers. Im Textteil finden sich die Schemen einer Geschichte. Angeblich die eines Krimis.

Marc Einstein, ein junger Journalist mit Wohn- und Arbeitssitz in Berlin, stöbert in London und Barcelona eine Handvoll jüdischer Kämpen aus dem Spanischen Bürgerkrieg auf, alte Männer, die auf den Folgeseiten entweder um die jeweilige Ecke gebracht oder bereits mausetot aufgefunden werden. Alle Spuren führen irgendwann irgendwie nach Berlin. Dort hatte der junge Journalist zuvor in einer Zeitung namens taz mit einem aufsehenerregenden Artikel schlafende Hunde, sprich: Altnazis unter Tarnkappe geweckt, die im Verlauf der Geschichte zubeißen, eben jene Spanienkämpfer meucheln und schließlich vom jungen Journalisten entlarvt werden. Ende.

Nun würde man sich ja durchaus auf die Geschichte einlassen, die Ghetto-Schicksale und Spanientage der alten Männer nachvollziehen, Einstein bei seinen Recherchen begleiten, gespannt sein, wie er die bösen Buben in die Enge treibt, ja sogar die dauernden Fahrten zum Flughafen Tegel mitmachen, müßte man sich dazu nicht durch ein stilistisch fragwürdiges, teilweise gar schmerzhaftes Unternehmen quälen und dabei nicht auch noch zu allem Überfluß sämtliche literatischen Geschmacksverstärker aus dem Ratgeber Kriminalroman über sich ergehen lassen. Da muß sich der hetzende Journalist dauernd vollaufen lassen, bloß damit der Schreiber ihn morgens kalt duschen lassen kann; seine Journalistenkollegen bekommen wir samt und sonders als intrigante, delirierende oder schlichtweg doofe Subjekte präsentiert (aber so sind sie doch! d. Red.); die Weibchen müssen mit »atemberaubender Figur« oder »aufgedonnert wie Marilyn Monroe« den Männchen zur Hand und zu anderem gehen; ja, Cravan läßt nicht einmal die beliebteste Krimikrücke aus, auf die sich schon Chandler stützen mußte, wenn er ins Stocken geriet: der Held hat irgendwo einen Freund sitzen — vorzugsweise in Zeitungs- und Polizeiarchiven — der ihm zum einen noch was schuldig ist und zum andern just dort weiterhelfen kann, wo die Geschichte ansonsten ein abruptes Ende nähme. Bei Cravan ein gewisser Edgar Winter in London.

So wie dieser Londoner Winter eine blasse Nebenfigur bleibt, kontur- und gesichtslos, so wimmelt Tod in der Schonzeit von unscheinbaren Figuren verschiedenster Couleur, von tölpelhaften Neonazis, die in einer aufgesetzten Nebenhandlung den Leser verwirren und die Seiten füllen sollen, über diensteifrige Polizisten bis hin zum Chefredakteur einer großen Berliner Zeitung. Keine der Figuren erwacht zum Leben, keine bekommt Konturen, bar jeder Emotion vegetieren die Ärmsten durch staubtrockene Buchseiten, landen früher oder später in der von Cravan immer wieder aufs neue durchexerzierten Übung »Typus und Karikatur« und verlieren sich so in der Distanz, ohne daß wir uns je für sie hätten interessieren können.

Das gilt auch für Einstein, mit dem Cravan uns den aufgeweckten, politisch desillusionierten Journalisten mit Hang zum Nonkonformistischen und lässigem Blick auf die geistigen Strömungen der Zeit unterjubeln möchte. Da wirft der junge Held einen Blick auf die Bibliothek eines seiner Spanienkämpfer, findet »keinen einzigen Roman aus der E-Rubrik« und hält das auch noch für »einen sympathischen Zug«. Selbstverständlich haßt er Versicherungen; und in Barcelona findet er den Garten Eden für treudoofe Outsider. Dort nämlich hinterlassen die Leute in den Parks »Butterbrotpapiere und ausgequetschte Orangensafttüten, die in Deutschland jeden Umweltschützer auf die Barrikade oder in den Wahnsinn getrieben hätten. Hier regte sich niemand darüber auf — ein richtiges Paradies.« (Nicht zu vergessen, daß Einstein selbstverständlich Jude ist. d. Red.) So hoppelt Artur Craven von Klischee zu Klischee, behandelt die deutsche Sprache wie den Quelle- Katalog und Berlin wie ein Monopoly-Brett, wo man auf der Schloßstraße, sprich: in Kreuzberg einfach ein paar Neonazis, Penner und Polizisten parkt, und glaubt, damit der »ehemaligen Reichshauptstadt, die 45 Jahre eine kümmerliche Randexistenz fristete«, bereits genügend Lokalkolorit verpaßt zu haben. Und so langsam kann man es als unschuldiger Leser einfach nicht mehr ertragen, wenn ambitionierte Literaten mit begrenzten Fähigkeiten ihre Figuren dauernd in Cafés schicken, »wo es den besten Cappuccino in der Gegend gibt«, bloß um sie dort Zigaretten aus der Packung »fischen« zu lassen.

Daß er dafür auch noch den per Hauchlautdiebstahl gekappten Namen des amerikanischen Boxerliteraten Arthur Cravan mißbraucht, läßt eigentlich nur zwei Schlüsse zu: völlige Ahnungslosigkeit oder spekulative Absichten auf den Mißgriff beim schnellen Bücherkauf. Vermutlich setzt er außerdem noch auf die Gerüchteküchen in den Berliner Zeitungsredaktionen. Ob allerdings jene angeblichen Ähnlichkeiten seiner Romanfiguren mit lebenden Personen, die laut Klappentext »ganz und gar beabsichtigt« sind, zu Identifikationen führen, darf mehr als bezweifelt werden.

Da sich nach Tod in der Schonzeit für einen bereits angedrohten zweiten Thriller aus dem Hause Cravan außer den engsten Familienmitgliedern kaum jemand interessieren dürfte, wäre dem Mann zu einem neuen Pseudonym zu raten. Dabei kann er dann ja durchaus in die Vollen gehen. Wie wär's etwa mit Daymond Dandler? Oder Mames Moyce? Günther Grosser

Artur Cravan: Tod in der Schonzeit, Thriller . Rasch und Röhring, 217 Seiten. 29.80 DM

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