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Familienhelfer: gleiche Arbeit für weniger Geld machen

■ Die 2.000 Berliner Einzelfall- und FamilienhelferInnen bangen um ihre Zukunft: Ihre Arbeit wird umdefiniert und aus der teuren Sozial-Therapie wird künftig die billigere sozialpädagogische Maßnahme - Proteste blieben ohne Resonanz - Senat lässt sich Zeit mit endgültiger Festlegung

Berlin. Zunehmend von Existenznöten geplagt werden die rund 2.000 Berliner Einzelfall- und FamilienhelferInnen. Besonders zukunftssicher war ihr Job nie gewesen, seit Anfang des Jahres aber stellt sich für viele von ihnen die Frage nach einem Berufswechsel mehr denn je. Anlaß ist das seit Januar geltende Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG), von dem sie vor allem eine schlechtere Bezahlung zu erwarten haben. Dazu drangen dann noch Gerüchte aus der Senatsjugendverwaltung, welche der Institution Einzelfall- und Familienhilfe gleich ganz den Tod vorhersagten.

»Das stimmt so nicht«, dementiert zwar Uta von Pirani, zuständige Fachfrau aus der Behörde, eine Reform hält allerdings auch sie aufgrund der neuen Gesetzeslage für unumgänglich. Was dabei herauskommt, heißt dann vielleicht nicht mehr Einzelfallhilfe (was den Betroffenen so ziemlich egal ist), wird möglicherweise aber auch ganz anders aussehen (was ihnen schon mehr Sorgen bereitet). Dabei — und hier scheinen sich ausnahmsweise einmal alle Beteiligten einig — sind aus Berlin die EinzelfallhelferInnen vor allem bei der Betreuung Jugendlicher nicht mehr wegzudenken.

Begonnen hat die Einzelfallhilfe Anfang der siebziger Jahre, Berlin spielte hier die Vorreiterrolle im Bundesgebiet. Ziel war, auf der Grundlage des Bundessozialhilfegesetzes, körperlich, geistig oder seelisch behinderten Personen Eingliederungshilfe zu gewährleisten. In vielen Fällen griff hier die herkömmliche Praxis der psychosozialen Versorgung nicht mehr, Betroffene, vor allem Kinder, drohten ohne Betreuung zu bleiben. Grund: die sogenannte »Komm-Struktur«, die den Menschen auferlegte, selbst initiativ zu werden. Das Aufsuchen von Ämtern und Einrichtungen wie Familienfürsorge und Jugendpsychiatrischem Dienst erwies sich oft aber als eine zu große Hürde, vielfach wurden Hilfsangebote nicht wahrgenommen. Hier nun setzen die EinzelfallhelferInnen an, beauftragt von den jeweiligen Bezirksämtern, werden sie in den Familien selbst tätig. Zu ihrer Klientel gehören meist verhaltensauffällige Kinder oder solche mit körperlich und geistigen Behinderungen (Erwachsene werden teilweise auch betreut, fallen jedoch nicht unter das KJHG), die Arbeit geht jedoch über ein »normales«, pflegerisches Maß hinaus. Es ist mehr als ein Zivi-Job, zu einem überwiegenden Teil werden diplomierte PsychologInnen, PädagogInnen und ähnliche eingesetzt, weitaus weniger sind SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen vertreten. Während in Berlin Einzelfallhilfe bislang nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) gewährt wurde, gilt nun der Vorrang des KJHG. Aus diesem Gesetz aber wurden die psychisch Behinderten »gestrichen«, sie wurden wegdefiniert. Was im Rahmen des KJHG bleibt, sind überwiegend sozialpädagogische Tätigkeiten wie soziale Gruppenarbeit, Erziehungsbeistand und Betreuungshelfer. Zu diesen Arbeiten können zwar weiterhin EinzelfallhelferInnen herangezogen werden, allerdings zu einem niedrigeren Honorarsatz von 20,15 DM anstatt 27,70 DM. Lediglich wenn diese Maßnahmen nicht greifen — und das liegt im Ermessensspielraum der Behörden —, kann eine höherbezahlte Therapie nach dem Bundessozialhilfegesetz verordnet werden. Und damit geht es ans Eingemachte: EinzelfallhelferInnen sind grundsätzlich als Freiberufler tätig, Sozialleistungen und Arbeitsmittel bezahlen sie aus eigener Tasche. Von einer finanziellen Verschlechterung fühlen sie sich nun existentiell bedroht, viele denken an Aufgabe. Warum es allerdings am Geld scheitern soll, leuchtet ihnen nicht so recht ein. »Durch Einzelfallhilfe können Heimeinweisungen verhindert werden. Wir sparen dem Senat Geld«, meint etwa Klaus Brauer von IBEF, der Initiative für Berliner Einzelfall- und Familienhilfe. Gerade in den sogenannten Multiproblem-Familien sind die EinzelfallhelferInnen oft die einzigen, die noch etwas ausrichten können, da die Sozialarbeiter in den Ämtern meist überlastet sind. In diesen Familien kann vieles zusammenkommen: schlechte Wohnungen, Suchtprobleme, Arbeitslosigkeit, finanzielle Probleme, Verwahrlosung und Mißhandlung der Kinder bis hin zu sexuellem Mißbrauch. Natürlich, in diesen Extremfällen — von denen es in ihrer täglichen Arbeit allerdings mehr als genug gibt — können die EinzelfallhelferInnen auch nur wenig ändern. Aber dieses wenige ist ihrer Ansicht nach schon viel: das »Schlimmste verhüten«, nennt Klaus Brauer das. Das bedeutet dann Entlastung für die Eltern, Krisenintervention, bei Bedarf als »Anwalt« gegenüber den Behörden auftreten und vor allem die Kinder betreuen. 10 bis 15 Stunden pro Woche arbeitet ein Einzelfallhelfer mit »seinem« Kind, weit mehr als Therapeuten in ihren Praxen. Wie das aussieht, zeigt das Beispiel IBEF-Wohnung in der Karlsgartenstraße. Hier haben elf EinzelfallhelferInnen gemeinsam eine Dachgeschoßwohnung gemietet, um auch einmal ungestört von den Eltern mit den Kindern allein sein zu können. Da gibt es einen großen Gruppenraum, kleine Zimmer für Einzelgespräche und Hausaufgabenbetreuung, ein Fotolabor und einen Bastelraum. Auch eine Küche ist vorhanden, für einige Kinder oft die einzige Möglichkeit, etwas Vernünftiges zu essen zu bekommen. Doch dieses Projekt ist ebenfalls gefährdet, die Wohnung wird von den Einzelfallhelferinnen selbst finanziert und erhält keine Zuschüsse. Während eines »Go-in« bei der Senatsjugendverwaltung und anläßlich eines Kongresses im Kommunikationszentrum »Die Pumpe« versuchte die IBEF zusammen mit anderen Gruppierungen — darunter die ÖTV und die Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie — auf die Misere aufmerksam zu machen. Die Resonanz war für sie jedoch alles andere als ermutigend. Einzelne Sozialarbeiter aus den Bezirksämtern traten zwar nachdrücklich für den Erhalt dieser Maßnahmen ein, auch Uta von Pirani zeigte sich den Problemen durchaus aufgeschlossen. Viel Hoffnung aber konnte auch sie nicht verbreiten. »Es wird«, so versicherte sie »nicht zu einer Verschlechterung der Betreuung kommen.« Nicht garantieren konnte sie jedoch, daß die Einzelfallhilfe im bisherigen Umfang und mit gleicher Bezahlung für die HelferInnen beibehalten wird. Die Senatsjugendverwaltung erarbeitet derzeit noch Ausführungsbestimmungen für das neue KJHG, der Abstimmungsprozeß mit anderen beteiligten Behörden ist noch im Gange. Dabei hakt es offenbar noch an allen Ecken und Enden, eine einheitliche Linie ist noch nicht zu erkennen. Bis die Ausführungsbestimmungen auf dem Tisch liegen, wird es wohl noch ein Jahr dauern. So lange ist ihre Zukunft ungewiß und auch die der Kinder. Zu befürchten ist aber, daß die so aussieht, wie auf einem Plakat beim »Go-in« zu lesen war: »Mein Einzelfallhelfer wurde eingespart, jetzt fahre ich mit dem Baseballschläger U-Bahn.« Theo Weisenburger

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