: Unbeabsichtigte Provokation-betr.: "Bier als Gage für Skins - RIAS-TV und RTL plus provozierten Angriffe aus Ausländer im Ostberliner Stadtteil Marzahn", taz vom 26.10.91
betr.: „Bier als Gage für Skins — RIAS TV und RTL plus provozierten Angriffe auf Ausländer im Ostberliner Stadtteil Marzahn“,
taz vom 26.10.91
Vorab: Wir freuen uns, daß Teile des Gesprächs zwischen dem Autor T. Schmitz, RIAS TV-Fernsehdirektor Dr. Wolfgang Krüger (irrtümlich als Wolfgang Klinger zitiert) und mir jetzt doch noch ihren Niederschlag in der taz gefunden haben. Ihre erste „Auswertung“ fanden diese Informationen nämlich zu unserer großen Überraschung in einer Pressemitteilung der PDS vom Freitag letzter Woche. Das machte uns denn doch etwas nachdenklich. Aber immerhin.
Zur Sache selbst: RIAS TV hat tatsächlich mit Skinheads in Marzahn gedreht. Hintergrund dieser Aktion: RIAS TV startete eine Serie über Ausländer in Berlin, um der Ausländerfeindlichkeit entgegenzutreten. Dazu gab es eine ganze Reihe von ergänzenden Filmen [...] und eben ein Stück über einen jungen Neonazi. Dargestellt werden sollte die Motivlage dieses Jugendlichen, die Prägung durch Elternhaus, Schule, Arbeitsplatz und Freundeskreis. Dazu wurde der junge Mann auch zusammen mit seinen Freunden gedreht. Unter anderem geschah das in einer Disco in Marzahn. Für die Gruppe von acht bis zehn Mann wurden insgesamt 90 Mark bezahlt. Inwieweit man dies als Gage bezeichnen kann, wenn man bedenkt, daß die Dreharbeiten insgesamt rund neun Stunden dauerten, muß hier wohl nicht untersucht werden. Ob sich eine derart große Gruppe mit Hilfe dieses Geldes „besaufen“ kann, mag jeder selbst aufgrund seiner Lebenserfahrung beurteilen.
Zum Vorwurf der Provokation von Angriffen: Es ist wohl unstrittig, daß jede Aufmerksamkeit, die Skinheads von den Medien entgegengebracht wird, diese Leute aufwertet, ihnen das Gefühl vermittelt, wichtig zu sein und sie möglicherweise auch dazu provoziert, sich gewalttätig aufzuführen. Diese Gefahr besteht latent. Die Alternative wäre, diese Jugendlichen totzuschweigen, sie auszugrenzen, ihnen jede Diskussions- und Lernfähigkeit abzusprechen. Ob das Problem so zu lösen ist, wage nicht nur ich zu bezweifeln.
Aber zwischen Analyse einer Motivlage und der Darstellung von Ausschreitungen, die während einer Dreharbeit unbeabsichtigt entstanden, liegen immer noch Welten. RIAS TV hat sich deshalb entschlossen, den bereits fertigen Film über die Skinheads nicht ins Programm zu nehmen. Wenn es RIAS TV wirklich auf eine Provokation angekommen wäre, hätten unsere Reporter bestimmt nicht die Skinheads von dem Wohnheim abgedrängt und wäre der Film wohl auch nicht unveröffentlicht im Archiv deponiert worden.
Wir bedauern in aller Form, daß es während unserer Dreharbeiten zu ausländerfeindlichen Provokationen gekommen ist, doch wir glauben auch, daß wir alles getan haben, was in dieser verfahrenen Situation noch zu tun war, um die Skinheads von weiteren Ausschreitungen abzuhalten. Gerhard Specht, Leiter Planungsredaktion RIAS TV
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