: „Die Stunde ist angebrochen“
In Sambia finden heute Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt/ Nach 18 Jahren Einparteienherrschaft unter Kenneth Kaunda sehnt sich die Bevölkerung nach Veränderung/ Opposition verspricht Ende von Mißwirtschaft und Korruption ■ Aus Lusaka Hans Brandt
„The hour...“, kreischen die in Lumpen gekleideten Kinder am Straßenrand, hüpfen übermütig von einem Bein aufs andere, strecken Daumen und Zeigefinger gespreizt in die Höhe. „The hour...“ rufen die Redner von der grob zusammengezimmerten Bühne, „...has come!“ antworten mehr als 5.000 in knalliger Hitze im Staub hockende Menschen. Keine Frage, wem die BewohnerInnen von Chawama, einem der vielen Elendsviertel von Sambias Hauptstadt Lusaka, den Sieg bei den heutigen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wünschen: der Oppositionspartei „Movement for Multiparty Democracy“ (MMD). Nach 18 Jahren Einparteienherrschaft durch Präsident Kenneth Kaundas „United National Independence Party“ (UNIP) sehnt sich Sambias Bevölkerung nach Veränderung. MMD- Führer Chiluba (47) mit seinem Motto „Die Stunde ist angebrochen“ verspricht ein Ende von Elend, Mißwirtschaft und Korruption.
„Wenn wir morgens aufwachen, müssen wir uns zuerst überlegen, wie wir heute die Kinder ernähren werden“, sagt einer der MMD-Redner in Chawama. Die meisten Menschen kämpfen täglich um ihre Existenz. Unterernährung, Durchfall und Malaria sind weit verbreitet. Der Durchschnittslohn liegt bei 2.500 Kwacha im Monat — offiziell knapp 34 US-Dollar, auf dem Schwarzmarkt etwa die Hälfte. Das reicht nicht einmal für ein Paar Schuhe.
Sambia ist ein kaputtes Land, das trotz fruchtbarer Böden und gutem Regen die eigene Bevölkerung kaum ernähren kann. Der Preis des Grundnahrungsmittels Maismehl ist die politisch und wirtschaftlich entscheidende Schlüsselziffer. 25 Kilo Maismehl kosten zur Zeit 300 Kwacha — ein lächerlicher Billigpreis, der den Staat täglich etwa 500.000 Dollar an Subventionen kostet. Kleinbauern produzieren nur noch für den eigenen Bedarf, Überschüsse aus der Produktion werden zum großen Teil in die Nachbarländer Zaire und Malawi geschmuggelt, wo die Maispreise dreimal so hoch sind.
Ohne internationale Hilfe kann Sambia seine Wirtschaft nicht sanieren. Und die Beziehungen zu internationalen Geldgebern, allen voran Weltbank und Internationaler Währungsfonds, sind denkbar schlecht. Im September versäumte Sambia die Rückzahlung von 20 Millionen Dollar an die Weltbank. Daraufhin wurden weitere Anleihen von über 200 Millionen Dollar storniert. Dabei könnte Sambia schon im Dezember keinen Mais mehr haben, um die Bevölkerung zu ernähren.
Jede Sanierung der Wirtschaft muß mit der Streichung von Subven- tionen beginnen. Das hat Präsident Kenneth Kaunda (67) Mitte 1990 versucht. Über Nacht brachen Unruhen im ganzen Land aus, die zu Demonstrationen für eine Demokratisierung und einen Vielparteienstaat wurden. Der Druck der Bevölkerung ebenso wie internationaler Druck zwang Kaunda im Dezember 1990, Oppositionsparteien wieder zuzulassen. Sofort wurde die MMD gegründet.
Die MMD ist eine Zweckallianz von Gewerkschaftsvertretern, Geschäftsleuten und Intellektuellen. Chiluba ist schon seit Jahren als Präsident der Gewerkschaftsförderation ZCTU der prominenteste Opponent Kaundas. Das Programm der MMD verspricht Privatisierung, Dezentralisierung, freie Marktwirtschaft, Öffnung des Landes für ausländische Investoren.
Ähnliches will inzwischen auch die UNIP, die ihre Unterstützer nur noch in zwei Bereichen findet: unter den Beamten, deren Pfründe schon immer vom guten Willen der Staatspartei abhingen, und den traditionsbewußten Leuten aus entfernten ländlichen Gebieten. Auf die Frage, was er von der Wahl halte, sagte diese Woche ein alter Häuptling aus der nordwestlichen Provinz, den Kaunda gerade für seine treuen Dienste geehrt hatte: „Auch wenn man zwei Frauen hat, man muß seine erste Frau ehren.“
Der Wahlkampf zwischen MMD und UNIP wird mit unnachgiebiger Härte geführt. „Ich habe noch nie so viele Lügen und Beleidigungen gehört“, sagte Kaunda Mitte Oktober über die MMD. „Kaunda hat euch versprochen, daß ihr jeden Tag Eier zum Frühstück essen werdet“, ruft hingegen Lovu Muleza, MMD-Vorsitzender in Lusaka, der Menge in Chawama zu. „Eßt ihr täglich Eier?“ — „Nein.“ Darauf Muleza: „Kaunda lügt und lügt und lügt.“
Kaunda träumte nach der Unabhängigkeit Sambias 1964 davon, aus einem der reichsten Länder Afrikas ein christlich-sozialistisches „Paradies auf Erden“ zu machen. Die Kupferbergwerke, mit die größten der Welt, wurden verstaatlicht, der Einparteienstaat eingeführt. Korruption, Vetternwirtschaft und Unterdrückung jeglicher Opposition folgten. Heute ist Sambia das am höchsten verschuldete Entwicklungsland der Welt, mit Auslandsschulden von acht Milliarden Dollar, bei einer Bevölkerung von acht Millionen. Nur duch Korruption und Schwarzmarkt, durch Geschäftemachen und Schiebereien jeder Art ist Überleben möglich.
Deshalb zieht es bei den drei Millionen Wählern auch kaum, wenn UNIP die MMD als „Movement for Mandrax-Dealers“ bezeichnet und Artikel veröffentlicht, in denen führende MMD-Leute als Drogenhändler überführt werden. Die Droge Mandrax wurde vor einigen Jahren in Sambia fast offen ein- und ausgeführt. Jeder, der sich Geschäftsmann nennt, dreht zwangsweise irgendwelche zwielichtigen Dinge. Sogar ein Sohn Kaundas und seine Frau Betty wurden vor einigen Jahren am Londoner Flughafen Heathrow mit Elfenbein und anderer Schmuggelware im Gepäck geschnappt.
Auch Rassismus gehört auf beiden Seiten zum Wahlkampfarsenal. Die MMD hat Kandidaten indischer und europäischer Herkunft aufgestellt, ein absolutes Novum für Sambia. „Der Inder ist kein Sambier“, hetzt ein Unip-Flugblatt gegen den MMD-Kandidaten Dipak Patel in Lusaka. „Er hat einen indischen, einen britischen und einen sambischen Paß.“ Patel wurde vor kurzem in seinem Haus angegriffen und hat inzwischen seine Familie vorsichtshalber außer Landes geschickt.
Die MMD agitiert andererseits gegen „Kaunda, den Mann aus Malawi“, gegen „böse Zauberkraft aus Malawi“ — ein Hinweis auf Kaundas Stammesherkunft aus dem Grenzgebiet zwischen Sambia und Malawi.
Die Wahlen haben zu großer Unsicherheit in der Bevölkerung geführt. In den letzten Tagen kommen immer stärkere Drohungen auf, daß es nach dem Wahltag zu Gewaltausbrüchen kommen könnte.
Dabei könnten diese Wahlen beispielhaft für ganz Afrika sein. Unabhängige Beobachtergruppen aus den USA, dem britischen Commonwealth und aus Sambia selbst sollen dafür sorgen, daß kein Wahlbetrug stattfindet. Der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter ist Leiter der US- Beobachtergruppe. Er meint, daß Sambia das erste Land in Afrika sein könnte, in dem der übergang von Diktatur und Einparteienstaat durch Wahlen stattfinden könnte. Faire Wahlen und ein friedlicher Übergang, so Carter am Dienstag in Lusaka, könnten Sambia zu „einem der führenden Hoffnungsträger Afrikas“ machen.
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