: Mobutu behält das Zepter in der Hand
Zaires Diktator ernennt seinen Favoriten Mungul Diaka zum Ministerpräsidenten und düpiert die Opposition/ Belgien und Frankreich ziehen ihre Truppen ab/ Die Terroranschläge häufen sich/ Der Exodus der Ausländer beschleunigt sich ■ Aus Kinshasa Bettina Gaus
Manchmal stimmt nur ein Klischee: Über Zaires Hauptstadt Kinshasa liegt „gespannte Ruhe“ — schon seit Tagen. „Die Stille macht mich verrückt“, seufzt ein Journalist. „Da hat man das Gefühl, die Explosion wird um so schlimmer.“ Und dann gibt er die jüngste Einschätzung von der Nachrichtenfront wieder: „Es gibt Kollegen, die glauben, daß Mobutu jetzt Journalisten im Interconti erschießen lassen wird, weil er eine solch schlechte ausländische Presse hat.“ Das Warten auf ein Ereignis kann fast ebensoviel Angst erzeugen wie das Ereignis selbst. In Kinshasa hat die Regenzeit begonnen. Es donnert — und einige der wenigen Gäste im amerikanischen Klub, der schon seit Tagen keine Mitgliedsausweise mehr kontrolliert, fahren entsetzt zusammen. Schüsse? Nicht doch! In leicht verlegenem Lächeln löst sich die Spannung.
Die Zahl der Ausländer schrumpft. Die Zahl der Gerüchte wächst. „Die Belgier haben nur so getan, als ob sie ihre Truppen abziehen wollen. Wenn die Evakuierung abgeschlossen ist, besetzen sie das Land und räumen hier auf.“ — „Die Franzosen werden über die Frequenz des zairischen Rundfunks mitteilen, daß Mobutu das Land verlassen hat. Dann wird eine Entscheidung erzwungen.“ Keine Meldung ist unwahrscheinlich genug, um nicht von irgend jemandem geglaubt — und weiterverbreitet — zu werden. Am Dienstag abend schickte ein Gerücht Tausende jubelnd auf die Straßen: Endlich, endlich hatte Staatspräsident Mobutu der Forderung des Oppositionsbündnisses „Union Sacrée“ (Heilige Union) nachgegeben und seinen Erzfeind Etienne Tshisekedi zum Premierminister ernannt! Sieg über den Diktator! Wenig war nötig gewesen, um den Freudentaumel auszulösen: Tshisekedi hatte nach einer weiteren ergebnislosen Verhandlungsrunde die Finger zum Victory-Zeichen erhoben — was als kämpferisches Signal gedacht gewesen war, wurde als Erfolgsnachricht mißverstanden.
Die Ernüchterung erfolgte pünktlich um neun Uhr abends, als sich überall in der Stadt Trauben von Menschen vor den Fernsehern versammelten, um die Nachrichten zu sehen: kein Wort von der Bildung einer neuen Regierung. Nach wie vor steckten die Verhandlungen in der Sackgasse. Zwar wagte Mobutu es über Tage hinweg nicht, seinen eigenen Favoriten Mungul Diaka auf Biegen und Brechen durchzusetzen, den Kandidaten der Opposition wollte er aber schon gar nicht akzeptieren.
Am Mittwoch abend dann zerschlugen sich die Hoffnungen auf einen Kompromiß endgültig: Mungul Diaka, Premierminister von Mobutus Gnaden, stellte sein Kabinett vor— und löste bei der Opposition einhellige Empörung aus. Seither ist die ohnehin große Angst vor einem Blutbad noch gestiegen, denn so lange in Zaire keine Regierung des nationalen Konsens die Führung übernimmt, kann die Bevölkerung kaum auf eine Verbesserung ihrer Lage hoffen — und das Faustrecht, das in den letzten Wochen hier regierte, bleibt auch weiterhin das gültige Gesetz des Landes.
Dabei bietet Kinshasa nach außen hin ein fast alltägliches Bild: Marktfrauen verkaufen Tomaten und Bananen. Plaudernde Grüppchen sitzen überall in der Stadt vor geöffneten Getränkebuden. Der Verkehr fließt ruhig in den Straßen, sogar die Ampeln funktionieren. An Umleitungen, die riesige Stacheldrahtrollen vor bestimmten Gebäuden wie dem Amtssitz des Premierministers erzwingen, hat man sich schnell gewöhnt. Kleine Anzeichen sind es, die auf die Gefahr hinweisen: Nach Einbruch der Dunkelheit ist kein Taxi mehr zu bekommen. An einer gerade noch leeren Kreuzung stehen plötzlich etwa fünfzig bewaffnete Soldaten. Mungul Diaka hat die Präsidentensuite im Hotel Intercontinental gemietet, nachdem eines seiner Häuser von aufgebrachten Anhängern der Opposition zerstört worden war.
Ein Sack Maniokmehl für einen halben Jahresverdienst
Eine Fahrt in jene Straßen, in denen früher die meisten Läden und Geschäfte lagen, zerstört allerdings die letzten Illusionen: Hier gibt es keine Hinweise auf Wiederaufbau und Neuanfang. Die Verkaufsräume sind noch immer so gähnend leer, wie die Plünderer sie nach ihren Beutezügen Ende September verlassen haben. Ausländische Händler, darunter viele Libanesen und Asiaten, sind aus Zaire geflohen. Wer heute Luxuswaren sucht, findet sie am ehesten am Straßenrand, wo die Beute verkauft wird — vom Mikroskop bis zur Champagnerflasche.
Die nächtlichen Terroranschläge mehren sich: Häuser prominenter Oppositioneller werden von Überfallkommandos angegriffen. Druckerei und Redaktionsräume der Zeitung 'Elyma‘ sind von einer Bombe völlig vernichtet worden. Liegen diesen Taten nur politische Motive zugrunde — oder werden hier auch persönliche Rechnungen beglichen? Fast alle, die heute Mobutu als Gegner gegenüberstehen, haben eine lange gemeinsame Geschichte mit ihm: Die führenden Köpfe der Opposition saßen irgendwann einmal im Kabinett, die meisten allerdings auch schon im Gefängnis.
Mobuto Sose Seko hat sich in den 26 Jahren seiner Herrschaft in einem Umfang bereichert, der selbst für Despoten nicht alltäglich ist: Sein persönliches Vermögen soll ausreichen, um die Staatsschulden in Höhe von rund zwölf Milliarden US-Dollar zu bezahlen. Aber er hat sich nicht alleine bedient: Der Finanzberater des Präsidenten gilt als reichster Mann des Landes. Nicht nur Mobutu selbst hat Angst vor dem Verlust der Macht. Ein Witz kursiert in Kinshasa: „Mobutu hat die französische Botschaft angerufen und um 800 Visa gebeten.“ Auch die Oppositionellen von heute sind keine armen Leute: „Das Haus da gehört Tshisekedi“, sagt der Taxifahrer, als wir eine geräumige Villa in einem noblen Wohnviertel passieren. „Ich denke, der wohnt ganz woanders?“ — „Es gehört ihm ja auch nur. Insgesamt hat er vier Häuser in Kinshasa.“
Unterdessen verschärft sich die Not der Bevölkerung von Tag zu Tag. Der Exodus der Ausländer vergrößert das Heer der Arbeitslosen um Hunderttausende. Die Versorgungslage wird immer kritischer, weil das Importgeschäft fast gänzlich zum Erliegen gekommen ist und nach den landesweiten Plünderungen der letzten Woche auch der Nachschub aus anderen Provinzen stockt. Weizenmehl ist derzeit für kein Geld der Welt in Kinshasa zu bekommen. Der Preis für einen Sack Maniokmehl, der Monatsbedarf einer Familie, ist von 400.000 auf mehr als eine Million Zaire hochgeschnellt. Das verdient eine Krankenschwester nicht einmal in einem halben Jahr. „Doch das ist erst der Anfang“, sagt ein Diplomat. „Es ist lediglich eine Frage der Zeit, wann Strom- und Wasserversorgung zusammenbrechen und es bestimmte Grundnahrungsmittel überhaupt nicht mehr zu kaufen gibt.“
Humanitäre Hilfsaktionen müßten jetzt dringend anlaufen — aber wie? Nahrungsmittelkonvois und Verteilung von Gütern an Bedürftige lassen sich nicht organisieren, so lange jene, die eigentlich mit ihrem Schutz beauftragt werden müßten, gerade die sind, die das Land geplündert haben und die Bevölkerung mit Terror und Gewalt bedrohen: Zaires Militärs. Niemand scheint derzeit imstande zu sein, die Armee zu kontrollieren, auch Mobutu nicht. Jeder Schluß kann das Signal zum Ausbruch von Kämpfen zwischen verfeindeten Einheiten sein. Das veranlaßt nun auch die wenigen noch verbliebenen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, über eine möglichst baldige Abreise nachzudenken.
Die Furcht vor den Gewehren der Soldaten sitzt tief. „Wir haben die belgischen und französischen Truppen aufgefordert, zu unserem Schutz im Land zu bleiben“, erklärt ein Sprecher der UFERI-Partei des Nguz a Karl-i-Bund, dem bei Präsidentschaftswahlen gute Chancen eingeräumt werden. Wie bitte? Fremde Truppen, noch dazu solche der ehemaligen Kolonialmacht Belgien, sollen nach dem Willen einflußreicher Oppositionspolitiker im souveränen Staat Zaire für Ordnung sorgen? Wie läßt sich das mit der nationalen Unabhängigkeit vereinbaren? Der UFERI-Sprecher sieht da keine Probleme: „Der Westen hat Mobutu schließlich im Amt gehalten und ihn jahrelang unterstützt. Jetzt muß er uns auch helfen, ihn loszuwerden.“
Der Mann befindet sich mit seiner Ansicht in guter Gesellschaft: Auch Etienne Tshisekedi hat an die Franzosen appelliert, sich nicht zurückzuziehen. Der Hilferuf ging ins Leere. Der Abzug der ausländischen Truppen ist beschlossene Sache. Daß Zaire seine Angelegenheiten alleine regeln kann, glaubt man allerdings auch in Europas Hauptstädten nicht: Belgiens Regierung rät zur Entsendung einer Friedenstruppe der Organisation für Afrikanische Einheit.
Selbst wenn europäische Soldaten bleiben sollten oder wollten — und dafür gibt es keinerlei Hinweise —, sie könnten es gar nicht mehr: Mobutu hat in diesen Tagen gezeigt, daß er das Spiel mit der Macht noch immer glänzend beherrscht. Kurz nachdem die Belgier den Rückzug ihrer Truppen angekündigt hatten, ließ er im staatlichen Fernsehen eine Meldung verbreiten: Er seinerseits fordere die belgischen Soldaten auf, das Land „sofort“ zu verlassen. Ihre humanitäre Aktion sei beendet.
Das stimmt nicht ganz, denn noch immer halten sich Ausländer, die evakuiert werden wollen, in Kinshasa auf, und zu deren Schutz waren die Truppen eingeflogen worden. Jetzt setzen viele von ihnen in aller Eile über den Fluß ins kongolesische Brazzaville über, das am anderen Ufer liegt. Denn seit der Präsident erkannt zu haben scheint, daß er von seinen ehemaligen Verbündeten keine Hilfe mehr erwarten kann, versucht er, den Schwarzen Peter dem Westen zuzuschieben, und das bedeutet für die Ausländer eine zusätzliche Gefährdung. „Der Westen will meinen Kopf“, behauptet der Diktator und bezeichnet die Massenevakuierung der Ausländer als „Einmischung in innere Angelegenheiten des Landes“. Täglich werden jetzt in den abendlichen Fernsehnachrichten Protestschreiben verschiedener Jugendorganisationen, die bisher gänzlich unbekannt waren, verlesen, in denen die Ausländer aufgefordert werden, abzureisen und „Zaire endlich in Ruhe zu lassen“. Und so flüchten sie nun fast alle aus Furcht, vom zufälligen Opfer zur Zielscheibe der Gewalt zu werden. Einige Missionare und Ordensangehörige sind beinahe die letzten Ausländer, die noch immer hierbleiben wollen. Ende der Woche soll die Evakuierung endgültig abgeschlossen sein. Und dann? Gespannte Ruhe liegt über Kinshasa.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen