1. Schwimmflügel-Massaker

■ 222. Dacapo-Konzert: Stiftungsessen, große Auktion, Konzert

„Dacapo“ heißt musikalisch –noch mal von Anfang an'. Einen neuen Anfang wagte Ingo Ahmels, als er 1986 in Bremen die Konzertreihe Dacapo begann. Am Sonntagabend gibt es im Theater am Leibniz-Platz das 222. Dacapo-Konzert mit Klavierabend, Performance, Kunst-Auktion und Stiftungsessen. Klavierspielen wird auch Kultursenator Henning

Scherf, der erste Politiker, der sich mit Zwölftonmusik in die Öffentlichkeit traut. Wie konnte es soweit kommen?

Ingo Ahmels mietete 1986, damals noch Musikstudent, mit seiner WG ein Haus in Walle, damit von unmusikalischen Nachbarn keine Klagen kämen. Seine Untermieter eröffneten hier die Kneipe „Havanna“ und baten Ah

mels, er könne doch mal für Musike sorgen. In Erinnerung an Franz Schubert als Kneipenpianist spielte Ahmels des abends Bach und Satie. Ahmels konnte seinen Freund Stephan Möller, der 1985 den Beethoven-Preis in Wien geerntet hatte, für einen Klavierabend im Lokal gewinnen. Doch während des zartesten Pianissimo zischte der Zapfhahn, und zu hell klingenden Gläsern paßte diese Musik nicht.

Ahmels und seine Mitstreiter, der Journalist Eugen Wohlkampfer und der Klavierhändler Heinz Kohler, entdeckten damals die Weser-Terrassen wieder. Ein Raum von schlichter, holzvertäfelter Trübsal, mit guter Akkustik und frei von jeglichem Pathos. Hier fand am 30.10.86 das nullte Dacapo-Konzert statt. Eine Samba-Formation mischte vor den Weser-Terrassen die herbstliche Luft auf, drinnen war das Wohltemperierte Klavier von Bach zu hören. Das Panorama der Dacapo-Konzerte deutete sich an. Die Unterscheidung zwischen U- und E-Musik läßt Ingo Ahmels nicht gelten, sei nur das fatale Produkt des 19. Jahrhunderts, als die Oberschicht den Künstler aufs Podium erhoben. So sei Musik zum Religionsersatz degeneriert, habe der Künstler Jesusgleich die Last der Welt auf sich genommen, die Reichen aus ihrem moralischen Dilemma zu erlösen. Unvergleichlich versteht es Ahmels, auf den „Kunst-Begriff“ des 19. Jahrhunderts zu schimpfen. Er hält die anarchisch-utopische Komponente der Musik dagegen: Komponisten sind Phantasten und gute Musik politisch. Und: „Musik ist die am wenigsten zu interpretierende Kunst, Klänge nur ein Spiel von dicker und dünner Luft“. Ein Spiel, das direkt in den Wahrnehmungsapparat einfließt, ohne von einem kognitiven Bedeutungssystem gefiltert zu werden. Deshalb führe Musik beim Zuhörer, wenn sie lebendig sei, zu Verhaltensänderungen.

Unbefangen baute Ahmels 1989 einen Konzertflügel zum Schwimmflügel um, der eine Woche lang auf der Weser dümpelte und mit einem eingebauten Mikrofon die Geräusche auf dem Wasser aufnahm. „Fenix“, so heißt das Objekt, wird am Sonntagabend unter Schweißgeräten und Hämmern glühend sprühend das Zeitliche segnen, aufgelöst in kleine Teile um in eine höhere Ordnung überzugehen.

Ahmels schaffte es bisher mit einer öffentlichen Unterstützung von 500 Mark pro Konzert WeltklassemusikerInnen an die Weser zu holen. Kürzlich wurde die Unterstützung für die 50 Konzerte im nächsten Jahr verdoppelt, laut Ahmels, immernoch ein „Dumping-Preis“. Sein Interesse richtet sich auf die forschenden, suchenden Aspekte der Musik, ob sie nun heute oder vor 200 Jahren komponiert wurde, ist dabei kein Kriterium. Dacapo-Konzerte sind eine elitäre Angelegenheit. Zwar richten sie sich an jeden, der noch zuhören kann, aber dazu sind in der Flut der Sinnesreize Wenige bereit. Auf die anderen kann Ahmels keine Rücksicht nehmen, denn er will seinem Publikum nicht die Lebenszeit mit Durchschnittlichem rauben. Stets hat er ein Zitat von K. H. Metzger bereit: „Heute ist nur Musik, die keine Musik mehr ist, noch Musik; während Musik, die noch Musik ist, keine mehr ist.“

Im Theater am Leibnizplatz hat Dacapo jetzt Büroräume gefunden. Zusammen mit der Musikwissenschaftlerin Brigitte Schulte-Hofkrüger und Wolf Freise als technischem Direktor wird Ahmels von hier das Dacapo der Zukunft organisieren. Alle bisherigen Konzerte sind auf Video aufgezeichnet. Demnächst lassen sich im Dacapo-Archiv musikalische Schätze der letzten Jahre heben. Einige Aufnahmen sind auf der ersten Dacapo-CD zu hören. Die zweite ist in Arbeit. Auch die Erlöse aus dem CD-Verkauf werden für den Kauf des 80.000-Marks-Bösendorfer- Konzertflügels verwendet. Juan

Theater am Leibnizplatz, Programm s. Kasten rechts