: Schauerwintermärchen mit Blasmusik
■ »Das Publikum« von Frederico Garcia Lorca von der Studiobühne an der FU Berlin
Garcia Lorcas Stück Das Publikum ist ein Fragment aus dem Nachlaß und handelt von einem Theaterdirektor (gleichzeitig Autor von Romeo und Julia), der von drei Männern mit Bärten und vier Pferden besucht wird. Er erlebt dann die Aufführung eines Stückes, das sich einerseits gerade entwickelt, andererseits in Vor- und Rückblenden zu sehen ist. Das Ganze gleicht einem überdimensionalen Puzzlespiel, in dem es keine logischen Handlungsstrukturen mehr gibt und Zeit und Ort nur noch nebensächliche Bedeutung haben.
Unter der Regie von Marcel Pomplun treten die Darsteller zum Vorspiel schon in der Halle auf, während die Zuschauer noch stehend ihren Wein schlürfen. So etwas kennt man von den unsäglichen »Performances« der 70er — und die Peinlichkeit der wild zusammengeschusterten Aktion empfindet man frühestens beim Auftritt der FU-Heinzelmännchen als verfrühte Weihnachtsmänner, spätestens aber angesichts eines weiblichen Pierrots, der (mit Playback natürlich) Theater, Theater von Katja Ebstein singt.
Sollte man in diesem Augenblick die Möglichkeit zur Flucht aus diesem Schauerwintermärchen ungenutzt lassen, so droht dann im Theater die gesamte Palette stumpfsinniger Ideen und peinlicher Belanglosigkeiten auf den Zuschauer einzustürzen. Denn dann kann man einem schwulen Liebespärchen (griechisch mit Glocken und Weinblatt) bei der Verballhornung homosexueller Beziehungen zusehen und Theater in seiner katastrophalsten Umsetzung erleben. Mit Gänsehaut erzeugender Chuzpe blöken und schreien die Laiendarsteller in bunt zusammengeflickten Kostümchen und untermalt von ohrenbetäubender Blasmusik ihre Texte herunter, entblöden sich nicht, Sexismus durch den Griff an die Genitalien zu veranschaulichen und scheuen selbst vor »Gesang« (obwohl das Wort das Gehörte nicht annähernd beschreiben kann) nicht zurück. Was diese Studenten der Freien Universität in kleingeistiger Ignoranz des Theaterhandwerks für den unverschämten Eintrittspreis von DM 15 anbieten, läßt einen sehnsuchtsvoll auf Schultheater-Aufführungen zurückblicken, wo die Motivation noch Freude am Spiel und nicht an der Hirnwichserei ist. So sehen wir einen schwulen Legionär, die auferstandene Julia mit Riesenbrüsten aus Plastik und schließlich sogar Jesus. Wenn man nur ein bißchen von der Person Garcia Lorcas weiß, kann man diese lächerliche Zurschaustellung des religiösen Grundtenors seiner Schriften nur noch mit Aggressionsausbrüchen oder Übelkeitserscheinungen beantworten. Was uns hier als Theater verkauft wird, läßt nur die Schlußfolgerung zu: Bitte keine weiteren Produktionen mehr! Denn was auch immer sie im wirklichen Leben tun mögen — Talent zum Theaterspielen haben sie keines. Nicht nur, daß ihnen jedwede handwerkliche Grundlage der Artikulation oder Körperbeherrschung fehlt, ihnen scheint auch jegliches Verständnis für Theatertext und die Belastungsgrenze der Zuschauer abzugehen. Vielleicht wäre eine Selbsterfahrungsgruppe (auch im eigenen Interesse) die bessere Alternative. Man hätte der poetischen Kraft und visionären Ausdrucksstärke von Frederico Garcia Lorcas Texten eine angemessenere, kompetentere Umsetzung gewünscht. So aber bleibt nur der Ratschlag, besser ins Kino zu gehen. York Reich
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