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TV-Staubsauger frißt Filme auf

Von der Kinokunst zur Fernseh-Versendung  ■ Von Karl-Otto Saur

[...] Der deutsche Film existiert für den deutschen Zuschauer nicht mehr, zumindest nicht mehr im Kino. In der ersten Juniwoche des Jahres 1991 belegten die ersten zehn Plätze in der Hitparade der deutschen Kinofilme zehn amerikanische Produktionen. [...] Wollen die deutschen Zuschauer nichts Deutsches mehr sehen? Ein Blick auf das Serienangebot im Fernsehen beweist das Gegenteil. Längst sind die Zeiten vorbei, in denen amerikanische Serien [...] bequem die 40-Prozent- Marke überschritten haben. Mit der Schwarzwaldklinik hat das ZDF bewiesen, daß eine deutsche Serie aus dem deutschesten aller Wälder mit der deutschesten Handlung und den deutschesten Schauspielern die Bedürfnisse der deutschen Zuschauer zu stillen vermag. [...] Die Privaten haben, kaum daß sie aus den ersten Millionenverlusten herausgekommen sind, ihr Geld in so deutsche Serien gesteckt, daß sie sich sogar in Österreich spielen lassen. Die Reaktivierung der Heimatfilme der 50er Jahre als Neuprodukt auf den Bildschirmen der 90er Jahre hat voll funktioniert. Das Fernsehen lebt, es lebt vom Geist und Blut der Regisseure, die eine neue Generation von Filmemachern der 60er Jahre zum Teufel jagen wollte.

Nur in den Kinos war diese Anstrengung erfolgreich. Dort gehen sie nicht mehr, die verlogenen Schnulzen und die rührseligen Stories, die nichts wagten und nichts brachten. Deswegen sind deren Regisseure und ihre Nachfolger alle zum Fernsehen gewechselt. Die, die neben den Jungfilmern geblieben sind, das waren danach die Sex- nd Pornoproduzenten, die in den 60er und 70er Jahren die Kinokassen füllten und nicht ahnen konnten, daß es einmal private Fernsehsender geben wird, die diese Kopulationsverkrampfungen auch auf dem Bildschirm zeigen würden.

Doch sie werden mehr und mehr gebraucht. Das Fernsehen hat sich auch in Deutschland zum Rund-um- die-Uhr-Medium entwickelt, und eine solche Endlosmaschine frißt Programm, Stunde für Stunde, Tag für Tag.

Immer noch bietet der internationale Filmmarkt die besten Möglichkeiten, diese Programmbedürfnisse zu befriedigen. Auch wenn der Einheitspreis von 126.000 Mark pro Film längst Geschichte ist, ist der Spielfilm immer noch billiger als jede Eigenproduktion — wenn man das Preis-Leistungs-Verhältnis betrachtet.

Der Spielfilm, das war vor zwanzig Jahren die Ausnahme im Fernsehprogramm. ARD und ZDF hatten in der Regel nicht mehr als drei Spielfilme pro Woche im Programm. Heute schaffen das die großen Sender an einem Samstag alleine. [...] Das Geschäft im internationalen Filmhandel ist eng geworden. [...] Auf allen Programm-Messen sind die deutschen Einkäufer unterwegs, kaufen alte Bestände und neue Produktionen, nehmen fast ausnahmslos, was ihnen unter die Finger kommt. [...] Ist Spielflm also noch etwas Besonderes im Fernsehprogramm? Wohl kaum, schon gar nicht, wenn man weiß, daß rund 80 Prozent der Fernsehzuschauer selten oder nie ins Kino gehen, also das Kinoerlebnis gar nicht kennen. Spielfilme sind aber dennoch eine tragende Säule im Unterhaltungsfernsehen. Sie dominieren neben den Serien und den Fernsehshows das Image der Programme. Kaum einem Fernsehspiel, mag es noch so interessant oder amüsant sein, gelingt es, die öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen, wie einem Spielfilm. [...]

Wäre es so gelaufen, wie die Mainzer Fernsehspiel-Redakteure es sich gedacht hatten, dann wäre Doris Dörries Männer nicht der Sensationserfolg geworden, der die Regisseurin zum internationalen Star gemacht hat. Bei der Abnahme waren die ZDF-Redakteure so angetan von dem Film, daß sie sich schon die Fernsehpreise ausmalten, die sie für dieses Werk würden einheimsen können. Trotzdem ließ man sich vom Wunsch der Regisseurin leiten, die ihre Sehnsucht nach dem Kino spürte und das Fernsehwerk doch gerne im Kino vorauswerten wollte. Den Sensationserfolg mit mehr als vier Millionen Besuchern sah zu diesem Zeitpunkt niemand voraus. Als dann endlich zwei Jahre später der Film im ZDF lief, da erschien es den Zuschauern so, als ob der Sender sich an den Erfolg angeschlossen hätte — ein Vorwurf, der die Redakteure verbitterte.

Das Beispiel zeigt aber auch, daß die von den Cineasten so gerne beschworene Trennung von Kinofilm und Fernsehspiel in den Köpfen der Zuschauer nicht mehr funktioniert. Film, das ist für den größten Teil der Zuschauer Massenware, die man leicht konsumiert. Der Name eines Regisseurs hilft da häufig, mehr noch die Mitwirkung von bekannten Stars der Filmgeschichte. Was jeder als überwunden dachte, die Heimat- und Liebesfilme der 50er und 60er Jahre und die Sexfilme der 70er Jahre, das sind die sicheren Renner heute im Fernsehprogramm, damit hat man fast eine Garantie, eine sichere Einschaltquote.

Gleichzeitig ist Fernsehen aber auch der Hort für die Cineasten geworden. Insbesondere die Dritten Programme, aber auch die Filmredakteure des ZDF haben Filmwerke ausgegraben, restauriert und zu Werkschauen gebündelt, die einen ganz neuen Zugang zur Filmgeschichte erlauben. [...]

So ist Fernsehen zur unermüdlichen Verarbeitungsmaschine von Film geworden. [...] Nicht nur die Tatsache, daß kaum mehr ein Spielfilm in Deutschland ohne Hilfe des Fernsehens produziert werden kann, hat die Filmindustrie zur Unterabteilung des großen Fernsehmolochs werden lassen. Deswegen verachtet auch der wahre Filmfreund und der Filmschaffende das Fernsehen, weil es ihn so nachhaltig daran erinnert, daß es eine unabhängige Kunst in diesem Bereich nicht mehr gibt.

Mit freundlicher Genehmigung aus 'medium spezial‘, 4/91, Spielfilm im Fernsehen. Der Abdruck erscheint hier in gekürzter Fassung.

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