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Brot wird teurer — Brillanten billiger

Die Einführung einer Mehrwertsteuer in Südafrika hat zu einer Massenrevolte geführt/ Ein Geschenk an die Reichen in einem Land mit einer der ungleichsten Einkommensverteilungen der Welt/ Die neue Steuer heizt die Inflation weiter an  ■ Aus Johannesburg Tim Murphy

Barend Du Plessis, seit verflixten sieben Jahren Finanzminister der Regierung de Klerk, ist in diesen Wochen der Watschenmann der Nation. Wo immer der ehemalige Mathematiklehrer seinen schmalen Kopf in eine Kamera hält, um die Vorzüge der neuen Mehrwertsteuer anzupreisen, gibt es Druck. Du Plessis, in öffentlichen Auftritten weniger erfahren als beim Aushandeln von internationalen Krediten in Hinterzimmern, posiert neuerdings als umgedrehter Robin Hood, der das Geld den Armen nimmt, um es den Reichen zukommen zu lassen. Ein führender ANC-Mann hat ihn schon als „Oberräuber“ tituliert.

Südafrikaner, Liebhaber aller Abkürzungen, versuchen, den Wandel von der Verkaufssteuer GST (General Sales Tax) zur Mehrwertsteuer VAT (Value Added Tax) zu begreifen. GST wurde nur beim Endverkäufer erhoben und bot eine Unmenge Schlupflöcher. VAT dagegen wird wie die deutsche Mehrwertsteuer bei jeder Transaktion erhoben und dann mit der nächstfolgenden verrechnet. VAT, lautet eine der vielen kursierenden Übersetzungen, ist eine „Vendetta Against Taxpayers“ (Vendetta gegen Steuerzahler).

Schon vor einem Monat bei der Einführung der umkämpften Mehrwertsteuer protestierten Hunderttausende von Menschen. In allen großen Städten gab es Demonstrationen. Vielerorts hatten die Umzüge einen Hauch von Karneval. In der Johannesburger Innenstadt etwa kam Demonstranten ein grinsender indischer Händler mit erhobener Faust entgegen. Er stürmte aus seinem Laden und schmetterte: „Nieder mit GST, nieder mit VAT!“

Während die alte Verkaufssteuer 13 Prozent betrug, wurde die neue Mehrwertsteuer auf 10 Prozent gesenkt. Und dennoch rechnen alle Experten mit einer Verteuerung des Lebens in Südafrika. Denn GST wurde nur auf die Hälfte des gesamten Verbrauchs erhoben, VAT dagegen wird bei 70 bis 75 Prozent des Warenkorbes kassiert. Die Folge: Der Bedarf der Reichen — gehobene Nahrungsmittel und Luxusartikel wie Sportwagen und Brillanten, für die auch früher schon GST fällig war, werden billiger, während Frischwaren, Grundnahrungsmittel, Strom und Wasser drastisch teurer werden, da sie zuvor nicht besteuert wurden.

Die Steuer, sagt der Finanzminister, werde die Lebenshaltungskosten um weniger als zwei Prozent steigern. VAT, hält der Gewerkschaftsdachverband COSATU dagegen, mache Millionen von Südafrikanern ärmer — betroffen seien „Arbeiter, Arbeitslose, Rentner, kleine Geschäftsleute, Ärzte und Waisenkinder“. Das ist der Grund, warum COSATU zusammen mit dem ANC die Nichtbesteuerung von Grundnahrungsmitteln, Wasser, Elektrizität und medizinischer Versorgung verlangt — alles, was zum Überleben der Ärmsten unabdingbar ist.

Auch Wirtschaftsexperten und führende Geschäftsleute haben schon gegen VAT Stellung bezogen. Die einen halten das System für prinzipiell richtig und kritisieren vor allem die tapsige und diktatorische Art, in der das weiße Minderheitsregime das neue System durchgedrückt hat. Das fortwährende Basteln am neuen VAT-System, befand das Johannesburger Wirtschaftsblatt 'Financial Mail‘ in einem Leitartikel, ließen „keine klare Vision der Zukunft erkennen“ und seien obendrein „ein Eingeständnis von Fehlern und Schwäche“.

Andere gehen weiter und halten das ganze Konstrukt nicht für richtig. In einem Land, wo bald 50 Prozent der Bevölkerung unter dem Existenzminimum leben, fast sechs Millionen arbeitslos sind und viele Millionen obdachlos, sagen sie, müsse der Staat auf anderen Wegen zu seinem Geld kommen. Und für das Gros der Schwarzen gibt es kein soziales Netz, das die gröbsten Härten abfedern könnte.

„Es ist der falsche Zeitpunkt“, sagt Raymond Ackerman, Chef der Ladenkette Pick'n Pay. „Ich bin bereit, die zehn Millionen abzuschreiben, die wir schon für die Umstellung auf VAT ausgegeben haben. Denn durch Verzögerung der Einführung des Systems werden Unruhen, Boykotte und mehr hungrige Menschen verhindert.“

Das neue System, meint die Regierung, habe unbedingt eingeführt werden müssen, um einen wirtschaftlichen Aufschwung zu erleichtern. Doch zunächst, da sind sich fast alle Experten einig, wird VAT die Inflation in Südafrikas schon notorisch von Rezession geplagter Wirtschaft weiter anheizen. Seit neun Jahren sinkt das Pro-Kopf-Sozialprodukt Südafrikas. Bislang aber hat der vom Finanzminister vorhergesagte Investitionsboom nicht stattgefunden. Verhaltene Zuversicht zeigt sich allenfalls in wenigen Branchen wie der Autoindustrie — Toyota und Mercedes Südafrika meldeten schon Anfang Oktober eine leicht verbesserte Auftragslage.

Zudem sorgen die wenigen Ausnahmen vom VAT-System, die Minister Barend Du Plessis am Vorabend der Einführung erlassen hat, für heillose Verwirrung. Absurd ist etwa der Streit über das Grundnahrungsmittel Weißbrot, das — im Gegensatz zu braunem Brot, nun mit 10 Prozent besteuert wird: Große Supermarktketten attackieren die Regierung wegen der unsinnigen Regelung. Schon deutet sich an, daß die Armen anstatt Brot mehr Mais und Reis essen, was — im Gegensatz wiederum zu Kartoffeln — nicht besteuert wird.

Am meisten jedoch ärgern sich schwarze Südafrikaner über die Geste an sich. Zu einem Zeitpunkt, da allerorten über die Umverteilung der Reichtümer im wohlhabendsten Land Afrikas nachgedacht wird, hat die Regierung eine Steuer eingeführt, die exakt das Gegenteil bewirkt. Noch immer ist Südafrika eines der Länder mit der ungleichsten Verteilung von Reichtum auf der Erde. Der „Gini-Koeffizient“, eine Rechengröße für den Grad der Ungleichheit — je höher, desto krasser —, liegt in Entwicklungsländern bei 0,5 und pendelt in Industriestaaten um 0,4. In Südafrika beträgt er 0,65. Die weiße Minderheitsregierung hat den Begüterten — und das sind wie gehabt die Weißen — ein Abschiedsgeschenk gemacht.

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