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Was der Bürgermeister alles nicht weiß

■ Aus einem höchst vertraulichen Papier Wedemeiers über Bremens Zukunft 1991-2000

Die Regierenden wissen mehr, denkt der Volksmund. Daß dies nicht der Fall ist, hat der Bremer Bürgermeister Klaus Wedemeier jetzt in einem 21 Seiten starken Papier parteiintern dargelegt. Zwar erklärte Senatssprecher Klaus Sondergeld, daß das Papier noch nicht „reif sei für die Presse“, aber die taz hat trotzdem schon mal hereingeschaut.

„Absehbare Aufgaben und Probleme des Landes und der Stadtgemeinde Bremen 1991 — 2000“ ist der Titel der Ausarbeitung, aber offenkundig sind die „Aufgaben und Probleme“ so wenig vorhersehbar, daß der Präsident des Senats auf jegliche Aussage verzichten muß.

Erste Sorge eines jeden Regierenden ist offenbar auch in der Demokratie die Anzahl der Untertanen. Über das Sexualverhalten seiner Pappenheimer und dessen Auswirkungen auf die Geburtenrate bis 2000 spekuliert der Bürgermeister freimütig: „Die Zahl der 0-3jährigen sinkt kontinuierlich und in erheblichem Tempo.“ Eigentlich müßte also die Zahl der Untertanen auch sinken, nur: Da kommen immer neue Zuwanderer. Wieviele kommen, weiß man nicht. Die Planungsgrundlage „1991 — 2000“ ist dementsprechend schwierig, eigentlich kaum möglich.

Wedemeier aber weiß immerhin: Angenommen, die Zahl der Zuwanderer würde „sich um weitere 11.700 bis zum Jahre 2000 erhöhen“, dann stiege die Summe der Sozialhilfe-Kosten für sie von derzeit 48 auf 150 Millionen im Jahre 2000.

Der Bürgermeister verkneift sich hier die Frage, was man 1980 über das Problem der Zuwanderer von 1990 hätte prognostizieren können. Die Probeme sind auch ohne solche methodischen Zweifel uferlos: Soll man mehr Wohnungen als die geplanten 16.000 Einheiten bauen? Wenn ja, mit welchen Subventionen? Wie sollen die Zuwanderer sonst die Miete zahlen? Fragen über fragen, die offen bleiben.

Nur eines ist sicher: Autos können diese Menschen sich nicht leisten. Das muß der Bürgermeister sich gedacht haben, als er in seiner Prognose für 1991-2000 auf jede Erörterung von Verkehrsproblemen verzichtete zugunsten des Hinweises: „Verkehrspolitik, als Teil einer ökologischen Stadtentwicklung, wird als fortzusetzen unterstellt“. Alles klar bis 2000?

Präzise wird der Bürgermeister verständlichrweise dort, wo nichts über die Zukunft Bremens ausgesagt wird. Ganz im Gegensatz zu den Sonntagsreden seines Wirtschaftssenators erkennt Wedemeier „erhebliche Technologieprobleme Bremens und der Unterweser-Region“. Kein Lob der bisherigen Anstrengungen, keine Prognose für 2000.

Wedemeier stellt in dem internen Papier auch seiner Verwaltung ein vernichtendes Zeugnis aus: „Mangelnde Flexibilität des Personals“ führe zu „unnötigen Kosten“. Er stellt ein „generelles Fehlen von Mechanismen der bedarfs- und kostenorientierten Leistungsanpassung im System der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung“ fest und als weiteres „bremenspezifisches Problem die häufig mangelnde Fachkometenz der Verwaltung“. Vorsichtshalber gibt Wedemeier auch da ganz den Horizont seines Themas „Bremen 1991 — 2000“ auf — generell plädiert er für Privatisierung (Übertragung von neuen öffentlichen Augaben auf Organisationen privatrechtlicher Form). Zur „Reform der Verwaltungsstrukturen“ selbst „zur Erhöhung der Flexibilität und der Qualität des Personaleinsatzes“ fällt Wedemeier nur eines ein: „Bezahlte Überstunden oder zeitlich begrenzte Zulagen“.

Vollends ratlos machen Wedemeier neuere Lesefrüchte aus der sozialwissenschaftlichen Literatur: Die Leute haben mehr „erwerbsarbeitsfreie Zeit“, Bevölkerungsschichten mit geringerem Bildungsniveau, Hauptschüler und Kinder von Alleinerziehenden sitzen die freie Zeit aber nur vor der Glotze. Wedemeier im elaborierten Soziologen-Jargon: „Wo Eltern ebenfalls die Medien intensiv und unreflektiert zu Unterhaltungszwecken nutzen, übernehmen Kinder langfristig das familiär habitualisierte Fernsehverhalten.“

Konsequenzen? Der Abschnitt, der unter der Überschrift: „Der Weg in die Informationsgesellschaft“ steht, endet bescheiden bei der Landesbildstelle: „Für die praktische Politik der kommenden Jahre in Bremen stellt sich damit die Frage, wie die bisherige Arbeit der Landesbildstelle größere Effektivität im Schulalltag erhält als dies bisher der Fall ist.“

Das gesamte Papier über Bremens Zukunft im Jahre 2000 gipfelt und endet in dem Vorschlag, „Krankheitsreserven in KTH's und Schulen“ nicht mehr im Stellenplan zu berücksichtigen, sondern „durch Geldmittel für die Beschäftigung von Teilzeitkräften“ zu ersetzen. K. W.

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