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»Ohraufführungen« im SO 36

■ Eine Veranstaltungsreihe mit Komponistinnen

Sing so la dance so la dim«, Gertrude Steins vernünftige Kurztragödie Akzente im Elsaß bildet den Schlußpunkt des Frauenmusikfestivals »Wie es ihr gefällt«, dessen Programm auf den ersten Blick recht zusammenhanglos wirkt. Was hat die Saxophonistin Sibylle Pomorin mit der Rockformation 7 Kick The Can zu tun? Wie geraten Tanzakrobatik und Jonglage mit traditioneller kurdischer Musik unter einen Hut?

Oder welche Verbindung gibt es zwischen Berliner Teenie-Pop und der Vertonung von Unica Zürns Anagrammgedichten? »Wie es ihr gefällt«, von 7. bis 10. November 1991 im SO 36 zu erleben, gibt sich heterogen. Stilvielfalt und die Überschreitung von Genregrenzen dominieren das abendliche Programm. So unterschiedlich sich die Abende zeigen — Donnerstag: Experimentelle/Volksmuik, Freitag: Rocknacht, Samstag: Grenzgänge, Sonntag: Ohraufführungen —, so unterschiedlich dürfte auch das angesprochene Publikum werden.

Musik ist doch immer noch eine sparten- und stilabhängige Kunst: Meist ist das Publikum weit weniger crossoverorientiert und offen, als die Musikerinnen es sind. Die Veranstalterinnen von »Wie es ihr gefällt« sind das Wagnis eingegangen, sich mit dem Programm eines Frauenfestivals, das männliche Zuhörer einschließt, zwischen sämtliche Stühle zu setzen.

Hauptanliegen ist, die Bandbreite von zeitgenössischen Tonkünstlerinnen zwischen traditionellen Instrumenten und Elektronik, zwischen Wort und Sound vorzustellen — und dabei auf bekannte Namen weitgehend zu verzichten. Ein Rundumschlag also, der das Experiment gleichsetzt mit dem Populären, das inszenierte Playback ebenso zuläßt wie die Improvisation.

Von den insgesamt 15 vorgestellten Projekten ist das Projekt Madame Bovary, hinter dem sich die Musikerinnen von Matador und Malaria verbergen, in Berlin schon bekannt. Sie präsentieren am Donnerstag abend tanzend und stimmgewaltig Liebeslieder, die sich der moralisierenden Langeweile eines vorprogrammierten Frauenlebens widersetzen. Nicht anzunehmen, daß sie damit heute denselben Skandal auslösen wie Flauberts Roman im 19. Jahrhundert, doch ihr Name schafft die sicher nicht ungewollte Verbindung.

Der Freitag bietet allen Tanzwütigen vier Möglichkeiten des Auslebens: Bassta, die Hullies, Minzlaff und 7 Kick The Can werden Rock- Pop-Funk-Wave weiblich besetzen. Am Samstag folgt einer der Höhepunkte des Festivals. Les Reines Prochaines, vier übermütige Schweizerinnen, die — wie sie selbst behaupten — mit aufgeschürften Knien und aufgesperrten Kehlen singen und tanzen. Sie betreiben auch noch 1991 — ganz unmodern — den Dilettantismus als künstlerisches Konzept.

Die Texte handeln von stinkenden Hunden, säenden Mägden und dem Wunsch, ein Bodybuilder zu sein. Sie bewegen sich zwischen Witz und Esprit, zwischen Schnulze und trotzigem Hit und lassen auch Plattheiten nicht aus. Die zukünftigen Königinnen sind aber keinesfalls so dilettierend, wie sie vorgeben. Mit zahlreichen Instrumenten, darunter auch Akkordeon, Klarinette und Spielzeug, ist ihr Auftreten sichtbar-hörbar: wer hören will, muß auch sehen, Les Reines Prochaines drängen darauf.

Am weitesten über den Musikbegriff hinaus geht aber der Sonntag, der Tag der Ohraufführungen. Zwei Uraufführungen konnten mit Senatsförderungsgeldern in Auftrag gegeben werden, The only thing that counts, eine Gemeinschaftskomposition von Anette Kayser, Dorothee Offermann und Maria Rothfuchs, die das Verschlingen von Sahnehäubchen thematisiert, und Liebesschwüre. Letzteres ist ein Hörstück von Iris ter Schiphorst, dem ein Text von Sylvia Plath zugrunde liegt.

Ob das Festival »Wie es ihr gefällt« tatsächlich ein offenes, kritisches Publikum findet, was sich natürlich auch vor allem die vier engagierten Organisatorinnen wünschen (alle vier sind Musikerinnen), bleibt abzuwarten, wir hoffen jedenfalls, daß einige der bisher völlig unbekannten Frauenbands von diesem Festival profitieren. Die geschickt ins Programm gesteuerten Highlights werden sicherlich dazu beitragen. Anna-Bianca Krause

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