: Kein Geld mehr für den Forschungsnachwuchs
■ Über die Hälfte der NachwuchswissenschaftlerInnen an der Humboldt-Universität werden ab November nicht mehr gefördert
Mitte. Die Informatik-Studentin Ina Schieferdecker hat für ihre Diplom- Arbeit den Tiburtius-Preis, die höchste Anerkennung für Berliner NachwuchswissenschaftlerInnen, vom Land Berlin erhalten. Schon vor ihrem Diplom wurde sie von der Humboldt-Universität als Forschungsstudentin anerkannt. Im November kündigte ihr der Senat jedoch die Förderung ihrer Dissertation, da das Gutachten der Kommission für Nachwuchsförderung (Nafög) negativ ausgefallen war.
Über 200 ForschungsstudentInnen der Humboldt-Uni sitzen seit Freitag ebenfalls auf dem Trockenen. Vor einem Monat teilte die Senatsverwaltung den Betroffenen mit, daß sie nicht weiter gefördert würden. »In dem Brief standen gerade drei Sätze. Die Ablehnung wurde noch nicht einmal individuell begründet, und es erfolgte auch keine Rechtsmittelbelehrung«, sagt Ulrike Wiedemann, Forschungsstudentin an der landwirtschaftlichen Fakultät.
Für sie wird jetzt eine Musterklage vor dem Verwaltungsgericht angestrebt. Nach Ansicht von Rechtsanwalt Jens Brückner hätte die Evaluierung nicht erfolgen dürfen. Die Gewährung der Stipendien sei ein Verwaltungsakt gewesen, der laut Einigungsvertrag Vertrauensschutz genieße. Er glaubt an gute Erfolgschancen für seine Klientin.
Den rund 600 NachwuchswissenschaftlerInnen war noch im Januar eine Weiterführung zugesichert worden. Dann aber machte der rot- schwarze Senat die Förderung von einer positiven Beurteilung durch die Nafög-Kommission abhängig. Im Juli flatterte den Studierenden ein Schreiben der Senatsverwaltung ins Haus. »Wir sollten innerhalb von zwei Wochen unser Thema und den Stand unserer Arbeit darstellen, um dann nach wissenschaftlichen Kriterien beurteilt zu werden«, sagt der Germanistik-Student Malte Sieber. Das habe sich gar nicht so schlimm angehört. Über die Hälfte der gut 400 eingegangenen Exposés wurden jedoch von der Kommission als nicht förderungswürdig erachtet. 70 Prozent der Mathematik-StudentInnen waren davon betroffen. Da der entscheidende Beschluß des Parlaments erst am 10. Oktober gefaßt wurde, die Evaluierung aber schon Ende September abgeschlossen war, habe der Senat darüber hinaus ohne jede rechtliche Grundlage gehandelt, urteilt Olaf Zaplo vom Specherrat der Forschungsstudenten.
Die aus 18 West-Professoren bestehende Kommission mußte 400 Gutachten zu den unterschiedlichsten Themen in verschiedenen Fachrichtungen in sechs Wochen erstellen. An der Humboldt-Uni zweifelt man, daß in so kurzer Zeit wissenschaftlich solide Gutachten erstellt werden konnten. Die bereits im Juli gewählten, aber erst zum Wintersemester ernannten Humboldt-Professoren wurden dabei nicht zu Rate gezogen.
»Wir haben eben Tag und Nacht gearbeitet, und die meisten haben auf ihren Urlaub verzichtet«, sagt Dieter Lenzen, Vorsitzender der Kommission. Wenn kein Fachvertreter zugegen gewesen sei, habe man weitere Gutachter hinzugezogen. Sie hätten jedoch die ausdrückliche Anweisung bekommen, nur Kollegen aus dem Westen zu Rate zu ziehen. cor
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