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Runder Tisch gegen Schließung der Giftdeponie

■ Ketziner Bürger befürchten, daß sonst niemand für die Sanierung der giftigen Sondermülldeponie aufkommen werde

Ketzin. Bewußtseinswandel in Ketzin: Bewohner des Ortes, der Bürgermeister und Betroffene der »Sondermülldeponie Vorketzin« wollen das Giftloch nicht mehr unbedingt schließen lassen. Auf einer gestrigen Sitzung von Vertretern des »Runden Tischs Ketzin« sagte Thomas Zastrow, evangelischer Pfarrer der Gemeinde, daß »bei einer Schließung keiner für die Folgekosten aufkommen wird«.

Seit Mitte der 70er Jahre sollen ausschließlich Berliner Bauabfälle, Haus- und Sondermüll abgekippt worden sein. Bis 1994 darf Berlin nach Angaben des Runden Tisches weiterhin jährlich 400.000 Tonnen Hausmüll, 400.000 Tonnen Bauschutt und 200.000 Tonnen feste Sonderabfälle nach Ketzin, etwa 50 Kilometer westlich von Berlins Stadtmitte, »entsorgen«.

Der Runde Tisch ist von Umweltminister Platzeck (Bündnis 90) eingerichtet worden und soll sich mit der Gefahr der Mülldeponie auseinandersetzen sowie die Öffentlichkeit über den »Stand der Dinge« informieren. Michael Wittke, Chef der Umweltberatung Fischer und Köchling, organisiert für 5.000 Mark monatlich die Sitzungen. Wittke bewertete Platzeks Unterstützung als in der Bundesrepublik »einmalig«. Allerdings mußte der Umwelt-Chef einräumen, daß die Forderungen des »Tisches« nicht bindend seien.

Nach einem neuen Gutachten gelangen von der Deponie keine Giftstoffe in das tiefergelegene Trinkwasser. Durch »glückliche Umstände« spüle direkt unter der Erdoberfläche eine erste Grundwasserschicht Chlorid, Karbonat und Amonium aus dem Müll heraus, erklärte der Hydrologe Hans-Jürgen Voigt von der Gesellschaft für Umwelt und Wirtschaftsgeologie (Berlin-Mitte), der im Auftrag des Brandenburger Umweltministeriums das Wasser und die Vegetation untersuchte. Die erste Grundwasserschicht steige nordöstlich der Deponie ins Oberflächenwasser auf, das später in die Havel fließt, sagte Voigt.

Nördlich der Deponie schwimmen in einem Liter oberflächennahen Grundwasser 409 Milligramm krebsverdächtiges Amonium. Der erlaubte Grenzwert betrage zwei Milligramm, erklärte Voigt. Für die Fische aus der Umgebung soll ein Verkaufsverbot herrschen, dennoch werde ein Teil verkauft, wußte der Pfarrer.

Obwohl von der Deponie »keine akute Gefahr« ausgehe, müsse sie gesichert und saniert werden, meinte der Hydrologe. Durch das Gewicht von mehreren Millionen Tonnen Müll, der sich außerdem voll Regenwasser gesogen habe, könnte die erste Grundwasserschicht in die Tiefe gedrückt werden. Dann geraten die Gifte ins Trinkwasser.

Nach Voigts Angaben überlege die »Märkische Entsorgunsanlagen Betreiber-GmbH«, die aus der mit Schalck-Golodkowski verstrickten »Intrac« hervorgegangen ist und jetzt unter anderem auch für die Deponie in Vorketzin die Verantwortung trägt, um das Müll-Loch eine Wand zu bauen. Diese Lösung hält der Experte für besonders gefährlich. Wasser könne nicht mehr abfließen, das Gewicht der Deponie werde immer schwerer und dadurch die Gefahr immer größer, daß die toxischen Stoffe ins Trinkwasser gepreßt werden. Seiner Meinung nach müsse der Müll abgedeckt und entwässert werden.

Um den »Mülltourismus« zu verhindern, beschloß gestern der brandenburgische Landtag, daß die Lagerung von Abfällen ausdrücklich durch das Umweltministerium genehmigt werden müsse. Dirk Wildt

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