: David im Glück an der Kabutocho
In Tokios Börsenviertel profitieren ausländische Banken von den Skandalen der japanischen Konkurrenz ■ Aus Tokio Georg Blume
Jahrelang fristeten ausländische Bank- und Brokerhäuser ein Schattendasein am Rande des Tokioter Börsenbooms. Gegenüber den vier japanischen Riesen der Branche — Nomura, Daiwa, Yamaichi und Nikko — wirkte die ausländische Konkurrenz wie „David gegen Goliath“, ein Vergleich, dem auch die meisten deutschen Banker und Broker in Nippons Hauptstadt zustimmen. Was aber passiert, wenn Goliath in die Knie geht?
Seit einigen Monaten steht die japanische Finanzwelt Kopf. Nomura, Daiwa, Yamaichi und Nikko sind allesamt der unerlaubten Geschäfte mit Gangstern und Großinvestoren überführt. Nomuras Anteil am Tokioter Börsengeschäft, der in Hochzeiten 40 Prozent erreichte, liegt derzeit unter fünf Prozent — das immer noch größte Wertpapierhaus der Welt leidet unter Strafmaßnahmen. Hat also David endlich eine Chance?
„Die Türen stehen weiter auf denn je“, räumt Jürgen-Hinrich Fitschen, der die Deutsche Bank in Tokio leitet, bereitwillig ein. „Zu uns kommen heute Personen, die sich bisher geziert haben, denn unter den japanischen Kunden gibt es Verdruß.“ Die Börsenberichte geben Fitschen Recht. 1986 lag der Geschäftsanteil der 25 in Tokio eingeschriebenen ausländischen Bank- und Brokerhäuser noch bei einem Prozent, 1990 erreichte er neun Prozent. Seit aber die Börse von Skandalen geschüttelt wird, fallen den Ausländern immer größere Früchte zu. Von Juni bis Oktober dieses Jahres bestritten ausländische Broker schon zwischen 15 und 20 Prozent des täglichen Geschäfts an der Kabutocho, dem Tokioter Börsenviertel. Während die Skandalwelle eine Reihe japanischer Konkurrenten in die roten Zahlen spülte, konnten die ausländischen Banken sogar entgegen dem schwachen Börsentrend zulegen. „Viele Vorteile der japanischen Konkurrenz“, freut sich Jürgen-Hinrich Fitschen, „fallen heute weg. Die hausgemachten Probleme der Japaner und das schärfere internationale Reglement lassen uns auf Veränderungen hoffen.“
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als hätten sich sämtliche Vorwürfe der ausländischen Börsenbeobachter in Tokio bestätigt. Waren es nicht Ausländer gewesen, die als erste die Geschäftspraktiken der japanischen Konkurrenten als unfair und undurchsichtig bezeichneten? „Die Japaner“, erinnert sich Shoji Oshima, der die Geschäfte des Schweizer Bankvereins in Tokio leitet, „waren selbst mit gutem Willen nicht in der Lage, die Unfairnisse auf dem Markt zu erkennen. Dafür gab es keine Beweise — aber es gibt sie heute.“ Inzwischen weiß die ganze Welt, daß die japanischen Wertpapierhäuser ihre großen Kunden, darunter Weltfirmen wie Nissan, Hitachi und Matsushita, mit Kompensationszahlungen für Aktienverluste begünstigten und damit Privatinvestoren schändlich benachteiligten. Nomura behandelte gar die Yakuza- Gangster besser als jene zahlreichen japanische Normalbürger, die nach einer sinnvollen Anlage ihrer geringen Habe suchten. Dafür muß Nomura heute büßen. „Gerade die führenden Gesellschaften“, prophezeit der Chef des Schweizer Bankvereins, „werden nun mit gutem Benehmen und gutem Beispiel vorausgehen müssen.“
Unabhängigkeit als Markenzeichen
Saubere Manieren müssen die ausländischen Finanzinstitute in Tokio nicht erst erlernen. Zu recht ist die Branche stolz darauf, daß niemand unter ihnen in einen der bisher aufgedeckten Skandale verwickelt ist. Unter den deutschen Instituten — neben der Deutschen Bank unterhalten Commerzbank, Dresdner Bank und Westdeutsche Landesbank größere Niederlassungen in Tokio — herrscht Einigkeit: Unabhängige Beratung und Marktforschung werde allmählich auch bei japanischen Kunden mehr Beachtung finden. Ihre Unabhängigkeit haben die Ausländer an der Kabutocho zu ihrem Markenzeichen gemacht, während die japanischen Konkurrenten wie eine Schafherde meist nur den Vorgaben folgten, die vor allem Nomura der Branche setzte. Das Rezept ging auf: Viele ausländische Kunden, die den großen japanischen Wertpapierhäusern treu gewesen waren, wechselten nach den Skandalen empört die Seiten. Doch wird ein japanischer Großanleger wie Nissan oder Hitachi bereit sein, von Nomura zu Morgan Stanley oder zur Deutschen Bank überzuwechseln?
Robert Firbas von Harryegg, der die Tokioter Aktiengeschäfte der Commerzbank überwacht, winkt ab. „Ich sehe unter den Großkunden keine Tendenz von den schwarzen zu den weißen Schafen, es gibt nur kleine Umschichtungen.“ Peter Brutsche, Chef der Schweizer Bankgesellschaft in Tokio, stimmt dem zu: „Die Beziehungen zwischen den japanischen Banken oder Wertpapierhäusern und ihren Kunden sind traditionell sehr eng.“ Allenfalls ein paar japanische Regionalbanken oder kleinere Versicherungsgesellschaften, so Brutsche, könnten als neue Kunden gewonnen werden. Ansonsten teilt der Topmanger der größten Schweizer Bank nicht alle Analysen seiner Kollegen. Statt sich über Davids Chance zu freuen, hadert Brutsche mit dem Schicksal Goliaths. Er empfindet „keine Schadenfreude“ an der Baisse Nomuras. Heute herrsche eine Phase, „in der jeder raus, aber niemand rein“ in das Börsengeschäft wolle; darunter würden alle Beteiligten leiden.
Brutsches Äußerungen lassen eine alte Kluft unter den ausländischen Börsenmitgliedern in Tokio erkennen, die sich nach den Skandalen noch vertieft hat. Denn die einen — dazu gehören auch die deutschen Häuser — haben sich mit dem restriktiven Tokioter Börsensystem abgefunden, während die anderen — meist US-amerikanische Institute — gegen die japanischen Geschäftsregeln seit jeher ankämpfen. So wehren sich die Deutschen im Konzert mit Nomura & Co. gegen eine Liberalisierung der bislang noch festgelegten Brokerkommissionen, während die Wall-Street-Häuser den freien Wettbewerb fordern. Robert Zielinski, ein US-Amerikaner in den Diensten des englischen Brokers Jardine Fleming, schimpft gerne auf seine deutschen Kollegen: „Ihnen geht es nicht um Profite, sondern um den Marktanteil. Sie wollen lieber kontrollieren als konkurrieren. Darin sind sie sich mit den Japanern oft erstaunlich einig.“ Zielinski, einer der besten Börsenkenner, schaffte es, an einem Tag acht Prozent der gesamten Börsengeschäfte abzuwickeln — ein Rekordanteil für einen Ausländer. Doch anderen ist die Langzeitplanung weit wichtiger als ein neuer Rekord. Zu ihnen zählen auch die deutschen Kreditinstitute. „Aus dem Reinigungsprozeß, dem sich die japanischen Institute jetzt unterziehen“, warnt der Deutsche-Bank-Chef Fitschen, „könnten sie noch gestärkt hervorgehen.“ Was immer deshalb mit den Davids an der Kabutocho geschehen mag — es wird unter ihnen weiterhin Vorsichtige und Forsche geben.
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