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Vom Alternativfunk bis zur Dudelwelle

Auf der Suche nach Chancen und Perspektiven von fremdsprachigen Rundfunkprogrammen  ■ Von Özcan Ayanoglu

„Die größten fremdsprachigen Bevölkerungsgruppen Berlins sind bei Radio 100 International vertreten. ,Berlin Radyosu‘ sendet dienstags und freitags auf türkisch; Bernama Kurdi, das deutschkurdische Programm, ist mittwochs und sonntags zu empfangen. Radio 100 International bringt auch das Programm in polnisch und arabisch.“

Als im März 1987 die ersten privaten alternativ-kommerziellen Funker in Berlin auf Äther gingen, waren die fremdsprachigen Redaktionen, so wie oben in einer sendereigenen Broschüre kurz beschrieben, dabei. Sie haben durch ihre Sendungen, wie die anderen Kollegen von Radio 100, einen seltsamen und einmaligen Versuch unternommen, nämlich, sie begannen ohne nennenswerte Unterstützung fachlicher und materieller Art, aber mit völliger Programmautonomie Radioprogramme zu produzieren.

Das zermürbende, aber freundliche Chaos der Anfangszeit machte bei uns erstaunliche Fähigkeiten frei. Die selbstverwaltete, aber verantwortliche Programmgestaltung machte unsere Sendungen im Laufe der Zeit interessanter, weil wir uns ohne Zensur und Bevormundung betätigen konnten.

Ohne übertreiben zu wollen, standen die fremdsprachigen Programme, bevor das Radio 100 im Februar 1991 in Konkurs ging, in der Hörbarkeit und Beliebtheit innerhalb unserer Zielgruppe prozentual gesehen am weitesten vorn. Aber warum war die Situation für uns erfreulicher?

Neben den widersprüchlich erscheinenden Voraussetzungen, die viel Kreativität und Neuigkeiten erzeugte, spielte hier die Situation der fremdsprachigen Hörfunksendungen in Berlin sicherlich eine Rolle.

Zur Situation: In Berlin und Umgebung leben cirka 350.000 Menschen mit „nichtdeutschem Paß“. Zahlenmäßig macht sie cirka zehn Prozent der Bevölkerung aus. Für diese Gruppe existieren hauptsächlich folgende Angebote auf dem Bereich der in Berlin zu empfangenden öffentich-rechtlichen Sendungen:

—SFB: Montag bis Freitag jeweils täglich eine halbe Stunde Türkisch und Serbokroatisch,

—WDR: Jeden Tag jeweils 40 Minuten in folgenden Sprachen: Serbokroatisch, Spanisch, Griechisch, Türkisch, Italienisch.

Im privaten Hörfunk-Bereich existierten bis Ende Februar 1991 nur die fremdsprachigen Programme in türkischer, kurdischer, arabischer und polnischer Sprache beim Radio 100. Diese Programme hatten wöchentlich sechs Stunden Sendezeit, wobei hier die kurdischen, arabischen und polnischen Sendungen in Berlin und Umgebung einmalig sind. Durch das türkischsprachige Programm von Radio 100 konnten die türkischsprachigen Zuhörer erstmals durch Konkurrenz und Vielfalt der Sendungen ansatzweise ein bißchen Normalität der türkischen Radiolandschaft erleben.

Seit Mitte August 1991 senden die genannten Programme in reduziertem Umfang — wöchentlich vier Stunden — beim Nachfolgesender Radio Energy.

Es gibt zur Zeit insgesamt täglich rechnerisch 4,6 Stunden fremdsprachige Programme im öffentlich-rechtlichen und privaten Hörfunkbereich. Das macht cirka 2,1 Prozent der Gesamtradiosendungen auf dem Gebiet von West-Berlin. Das ist bei einer so dichten Hörfunklandschaft wie in Berlin wahrlich keine nennenswerte Zahl für cirka zehn Prozent der Berliner mit nichtdeutschem Paß. Diese (Un)situation machen die polnischen, arabischen, kurdischen und türkischen Berliner nach eigenen Programmen in jeweiliger Sprache hungrig.

Es war und ist immer ein Trugschluß gewesen, darauf zu hoffen, daß die Kinder der zweiten und dritten Generation von Arbeitsimmigranten eigene Herkunftssprache vergessen, folglich die fremdsprachigen Sendungen mittelfristig nicht benötigt werden. Die Medienwissenschaftler R. Amann und G. Roters belegen durch eine empirische Untersuchung gerade das Gegenteil. Nach dieser Untersuchung erzielen die türkischsprachigen Programme in West-Berlin die Spitzenreichweiten.

Trotz dieser Tatsachen reagieren sowohl die öffentlich-rechtlichen als auch die privaten Medieninstanzen und die Parteien kaum. In der letzten Zeit häufen sich die negativen Signale, so daß man sogar um den jetzigen mageren Bestand von Minderheitensendungen fürchten muß:

Vor cirka einem Jahr wurden die fremdsprachigen WDR-Programme von den qualitativ besser hörbaren UKW-Frequenzen auf die schlecht zu empfangende Mittelwelle geschoben. Ein ähnliches Schicksal droht den zwei fremdsprachigen Programmen beim SFB. Bei Radio Bremen wurden vor kurzem die türkischsprachigen Programme als überflüssig erklärt. Man empfindet diese Programme im öffentlich- rechtlichen Bereich offensichtlich als „Störung“.

Wir, die beim privaten Sender angesiedelt sind, wurden zwar nach Radio 100 von der Musikwelle Radio Energy übernommen, besitzen aber trotz der in der Sendeerlaubnis vorhandenen Bestimmungen keinerlei Sicherheit. Die Mitarbeiter der fremdsprachigen Programme bei Radio Energy haben einen Arbeitsvertrag nur bis Ende dieses Jahres. Die Verhandlungen über die Verlängerung der Arbeitsverträge stehen unmittelbar bevor.

Die Medienpolitik für die ethnischen Minderheiten soll eine Klarheit schaffen, in der der Medienzugang und die -nutzung gesichert werden. Statt den Bestand und die Möglichkeiten der vorhandenen Sendungen zu reduzieren, sollte eine Politik in Berlin und anderswo klare Linien einer multikulturellen Medienlandschaft skizzieren, so daß die Vielfalt, die Professionalität des Vorhandenen eine Förderung erfährt. Außerdem können in Zukunft die Mischmodelle, das heißt die Ansiedlung solcher Programme zwischen dem privaten und öffentlich-rechtlichen Gebiet, an Bedeutung gewinnen, wenn dazu die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Konkret:

—Erweiterung der Sendemöglichkeiten im Bereich des öffentlich- rechtlichen Rundfunks und Fernsehens,

—angesichts der zunehmenden Bedeutung der kommerzorientierten privaten Medien eine viel stärkere Berücksichtigung der fremdsprachigen Programme durch Festschreibung in Sendelizenzen und

—angesichts der zahlreich vorhandenen UKW-Hörfunkfrequenzen in Berlin eine Frequenz nur für die fremdsprachigen Programme vorsehen und die Finanzierung dieses Sendekanals durch Mittel von Medienanstalt und durch Werbeeinnahmen sicherstellen — das sogenannte Mischmodell.

Die bevorstehenden parlamentarischen Erörterungen über den „Staatsvertrag über die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg im Bereich des Rundfunks“ bieten für den Gesetzgeber eine Gelegenheit, im Rahmen des Vertrages und im Sinne der Forderungen Bestimmungen zu erlassen.

Man soll nicht vergessen, daß Berlin nicht nur multikulturell ist, sondern auch multilingual. Die Kultur prägt bekanntlich die Sprache. Die Sprachen der Minderheiten müssen, will man an Multikulturalität festhalten, gefördert und weiterentwickelt werden. Hierbei geht es ohne Medienöffentlichkeit für ethnische Minderheiten nicht.

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