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Unbequemer Fortschritt

■ Im Kampf gegen Privatisierungsforderungen bemüht sich die Gewerkschaft ÖTV um ein neues Verständnis qualitativer Dienstleistungen/ Weg von der Besitzstandswahrung ihrer Mitglieder

Wasser ist eines der wichtigsten Lebensmittel der Menschen“, doziert der Vorsitzende des Betriebsrats der Berliner Wasserwerke, (...), „und unsere Aufgabe ist, es den Menschen in bestmöglicher Qualität bereitzustellen.“ Seit Berlin wiedervereinigt ist, mußte sich der Betriebsrat notgedrungen dem Problemwust zuwenden, der sich mit der geplanten Zusammenlegung der beiden Berliner Wasserwerke auftürmt: Personalabbau im Osten, Übernahme neuer Betriebsstätten, Schließung anderer. Doch wenn das alles halbwegs geordnet ist, will er einen Arbeitsschwerpunkt weiterführen, der vor dem 9. November 1989 ganz im Vordergrund stand: Wasserwirtschaft nicht nur als Versorgungsauftrag, sondern als ökologische Aufgabe.

Die Interessenvertretung der Berliner Wasserwerke hat in den letzten Jahren mehrere ökologische Projekte initiiert, die nicht nur auf eine bessere Wasserversorgung der Metropole Berlin zielen, sondern auch auf ein neues Selbstverständnis der Mitarbeiter des städtischen Eigenbetriebs: Weg von der Jobmentalität, hin zur qualitativen Dienstleistung.

Die Berliner Wasserwerker sind eines der Paradebeispiele der Gewerkschaft ÖTV für ihre Modernisierungsdiskussion. Parallel zur Industriegewerkschaft Metall, aber nicht so spektakulär, hat die ÖTV Ende der achtziger Jahre ihre Modernisierungsdiskussion unter dem Stichwort „Zukunft durch Öffentliche Dienste“ begonnen und inwischen in einigen Bereichen auch praktisch umzusetzen versucht. Mit ihrer Initiative reagiert die ÖTV mit ihrer vielverzweigten Mitgliedschaft — von den Beamten in den staatlichen Verwaltungen bis zu den Beschäftigten der Eigenbetriebe und den Hafenarbeitern in Hamburg — auf die zunehmende öffentliche Kritik an der Schwerfälligkeit des Öffentlichen Dienstes, auf die Forderung nach Privatisierung bisher öffentlicher Dienstleistungen.

Jetzt sind im gewerkschaftlichen Bund-Verlag sechs Bände erschienen, in denen die Diskussion mehrerer Konferenzen und Klausurtagungen ausführlich dokumentiert wird. Sie versuchen, ein neues gewerkschaftliches Interessenverständis für den öffentlichen Dienst zu formulieren, das von der Besitzstandswahrung der Staatsbeschäftigten wegführen soll und hin zur „Dienstleistung an der Gesellschaft“.

Die ÖTV knüpft dabei am Gemeinwohlanspruch des Staates an, den dieser in fast allen Bereichen seiner Tätigkeit nur unzureichend einlöst. Indem sich die Beschäftigten und ihre Gewerkschaft dieses Ziel zueigen machen und als Anspruch der Beschäftigten gegenüber dem Arbeitgeber Staat einfordern, versuchen sie, ihre eigenen sozialen Interessen mit denen der Allgemeinheit zu verbinden. Ein Beispiel ist die ökologische Reform der Wasserwirtschaft, die gegen eine auf rein quantitativen Ausstoß gerichtete Geschäftspolitik vieler kommunaler Wasserwerke ins Feld geführt wird. Denn eine ökologisch durchdachte Wasserpolitik, die sorgfältig mit der Ressource Wasser umgeht, ist personalintensiver und erfordert höhere Qualifikation als das „Wasser vom Fließband“.

Im Pflegesektor ist diese Umorientierung des Interessenverständnisses schon öffentlich sichtbar geworden. Mit ihrer Kampagne gegen den „Plegenotstand“ ist es der Gewerkschaft gelungen, die unhaltbaren Zustände in Deutschlands Krankenhäusern auf die katastrophalen Arbeitsbedingungen und die Unterbezahlung des Pflegepersonals zurückzuführen. In der letzten Tarifrunde konnte sie mit dieser Strategie, bei einhelliger Zustimmung der Öffentlichkeit, für die Krankenschwestern und -pfleger und für andere Sozialberufe deutlich überproportionale Gehaltserhöhungen durchsetzen.

Gelingt es der Gewerkschaft, den Gemeinwohlanspruch für die Interessen ihrer Mitglieder glaubwürdig zu mobilisieren, verbessern sich ihre Durchsetzungschancen gegenüber dem Staat erheblich. Allerdings hat der Versuch, den öffentlichen Dienst ernsthaft in den Dienst der Bürger zu stellen, hat natürlich auch unbequeme Seiten für die Gewerkschaft. Die Verteidigung von Beamtenprivilegien ist mit einem solchen Interessenverständnis ebenso wenig zu vereinbaren wie die Einschränkung von Öffnungszeiten in staatlichen Einrichtungen mit Besucherverkehr. Eine kundenfreundliche Umstrukturierung staatlicher Dienstleistungen müßte tief in die Arbeitsprozesse, auch in die Besitzstände und kleinen Privilegien einer Verwaltung eingreifen, die dem Bürger häufig immer noch allein als Hoheitsträger gegenübertritt.

Letztlich zielt die Diskussion innerhalb der ÖTV auf eine Neubegründung des Sozialstaats, der den Konservativen immer mehr zum Ärgernis geworden ist. Denn je mehr sich die öffentlichen Dienstleistungen von den ökologischen und sozialen Ansprüchen der Gesellschaft entfernen, desto mehr geraten sie unter Privatisierungsdruck, desto unsicherer werden damit die Arbeitsplätze. Umgekehrt gilt aber: Je stärker sich die Gewerkschaft der öffentlichen Unterstützung für ihre Forderungen versichern kann, desto besser werden ihre Durchsetzungsmöglichkeiten. Öffentliche Unterstützung gewinnen sie aber nur, wenn sie die Qualität der Arbeit im öffentlichen Dienst zu ihrer eigenen Sache macht. Martin Kempe

Monika Wulf-Mathies (Hrg.), Zukunft durch Öffentliche Dienste, 6 Bände, Bund-Verlag Köln, 1991.

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