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Es war einmal ein Knie...

■ Der Vfl Bochum entfernte sich nach einem 1:0-Sieg gegen Schalke 04 erstmals vom Tabellenende Uwe Leifelds verletzungsbedingte Auswechslung vereinte zweitweise die zerstrittenen Fankurven

Bochum (taz) — Als Schalkes Masseur Wenskat, der einzige in der Bundesliga mit Pferdeschwanz, in der 68.Minute auf den Rasen lief, der Trainerbank sofort die Auswechslung signalisierte und eine Trage für den verletzten Spieler forderte, geschah Einmaliges: „Uwe, Uwe!“ hallte es nicht nur aus der Westkurve, wo sich die Schalke-Fans drängelten, sondern auch aus dem Block der VfL-Anhänger. „Nein, das hat er nicht verdient“, waren sich sogar die einig, die vorher keine Gelegenheit zur Beschimpfung ihres ehemaligen Lieblings ausgelassen hatten. Der Moment, in dem Uwe Leifeld plötzlich an der Strafraumgrenze zusammensank und sich ans Bein faßte, hatte auch ihre Herzen erweicht. Das Knie, es konnte nur das Knie des 25jährigen sein.

Die Geschichte von Leifelds Knie ist inzwischen schon fast Fußballfolklore im Ruhrgebiet. Vor fünf Jahren begannen die Leiden mit einem Riß von Kreuzband, Innenband und Meniskus im Spiel des VfL Bochum gegen Dortmund. Doch bereits fünf Monate nach der Operation stand Leifeld wieder im Trikot des VfL auf dem Platz.

Der zweite Totalschaden folgte 1988 und Leifeld verbrachte danach mehr Zeit in Arztpraxen als auf dem Trainingsplatz. Sechsmal wurde er seitdem noch operiert, immer wieder als Sportinvalide gehandelt und dann doch wieder mit Spritzen für 90 Minuten schmerzunempfindlich gemacht. Denn für den VfL waren seine Tore die Versicherung im Dauerabstiegskampf, darunter das rettende im Relegationsspiel gegen Saarbrücken im Sommer 1990.

In der letzten Saison kam er fast gar nicht mehr zum Einsatz und der selbstzerstörerische Musterprofi schien endgültig abgeschrieben. Überraschend hieß es im Juli dieses Sommers plötzlich, daß er einen Vertrag bei Schalke 04 unterschrieben hätte. Beim VfL Bochum waren sie froh, ihren invaliden Helden losgeworden zu sein, während sich ums Parkstadion ärztliche Gutachten und Gegengutachten zu seiner Sporttauglichkeit jagten. Dann wollte Schalke ihn doch nicht mehr, aber Leifeld war bereits in einem Testspiel eingesetzt worden. Schalke-Präsident Eichberg beendete das Kapitel damit, daß er den Transfer zur Privatsache erklärte. Lange hörte man nichts mehr von Uwe Leifeld, bis er vor drei Wochen gegen Hansa Rostock eingewechselt wurde und gleich zwei Tore schoß. Gegen Dresden lieferte er die Vorlage für das einzige Schalker Tor, und da waren es nur noch sieben Tage bis zur Rückkehr nach Bochum. Zeit genug für Interviews und Schlagzeilen, Vorwürfe gegen den ehemaligen Manager und Vorstand, die ihn nicht mehr unterstützt hatten. Zeit genug, den Adrenalinspiegel steigen zu lassen.

Was die einmütig singenden Zuschauer zu dem Zeitpunkt, als Leifeld von den Rot-Kreuz-Männern vom Platz getragen wurde, nicht wissen konnten: Leifeld hatte sich gar nicht am Knie, an dem Knie verletzt. Es war nur eine, wenngleich schmerzhafte, Fleischwunde am Knöchel. Und so konnte er kurz nach Spielschluß bereits wieder vor die Mikrofone, Kameras und Kugelschreiber humpeln. „Ich hätte nicht gedacht, daß ich hier wie Freiwild behandelt werde“, gab er zur Notiz. „Ich weiß nicht, was die vom Trainer gesagt bekommen haben. Der Reekers hat brutal und absichtlich getreten und geschlagen.“ Nur über „den Heynemann“, der ihn danach beschattet hatte, wollte er sich nicht beschweren. Verständlich, wo der doch sein Trauzeuge war.

Dann maulte er, daß er „Äußerungen, die in der Presse standen“, doch gar nicht getan hätte. Wahrscheinlich ahnte er da schon, was sich über ihm im Presseraum zusammenbraute, wo Aleksandar Ristic in einer Ahnung von Abstiegsnöten Beschwerden über die mangelnde Konzentration seiner Spieler beim späten Siegtor des VfL in seiner Drohung aufhäufte: „Mich tut leid, denn ich muß hart bleiben, daß einige Spieler nächstes Jahr können neuen Verein suchen. Ich will keine Spieler haben, die rote Karte haben und schaden Mannschaft.“ Gemeint war Egon Flad, der hatte im „Blackout“ (Flad) dem Linienrichter den Ball an den Kopf geworfen. Schiedsrichter Striegel tat's leid: „Wir kommen doch aus der gleichen Gegend und ich kenne ihn schon von kleinauf, aber wenn er meinen Kumpel anmacht...“ Auch Leifeld wurde von Ristic gerügt: „Wir sind selbst Schuld, wenn wir haben Gegner so stark motiviert. Sie sind sowieso heiß auf Schalke und wenn man redet Blödsinn vor einem Spiel, wird noch härter. Ich muß meine Jungs noch schulen, denn einige sind noch ganz kleine Schulkinder für Fußball.“ Und Leifeld, der Fastmittelpunkt einer Fasttragödie bekam es gleich zu spüren. Hatte er doch Freunde im Ruhrstadion getroffen und wollte gleich in Bochum bleiben. Aber nicht mit Ristic: „Du bist gekommen mit Bus und fährst mit Bus zurück.“ Christoph Biermann

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