: Alte Musik — historisch
■ Bachs h-Moll-Messe in der Apostel-Paulus-Kirche
Daß eine historisch orientierte Aufführung Alter Musik nicht gleichbedeutend mit akademisch-gepflegter Langeweile sein muß, hat sich offensichtlich schon weit herumgesprochen: über 1.000 (!!) ZuhörerInnen fanden sich am Sonntag in der Apostel-Paulus- Kirche ein, um Johann Sebastian Bachs h-Moll-Messe in einem der historischen Aufführungspraxis verpflichteten Konzert zu erleben.
Die mitwirkenden Ensembles waren die Heinrich-Schütz-Kantorei Kiel (Einstudierung: Karl-Heinz Drews), die norddeutschen vocal- concertisten (Einstudierung: Kristian Commichau), das Barockorchester Hamburg, die Hildebrandsche Hoboisten Compagnie, sowie die Tromba Antiqua; alles unter Leitung von Karl-Heinz Drews und Kristian Commichau.
Eine äußerst kohärente, undogmatische Aufführung: Man hatte sich einen Weg zwischen hohem Pathos und historizierender Sachlichkeit gebahnt. Da gab es unorthodoxe Tempi (selten ein derart rasches Gloria oder Cum Sancto Spirito gehört), ungewöhnliche Besetzungen (so übernahm beispielsweise das Solistenquartett anstelle des Chores den Beginn des »Dona nobis pacem«), sowie einen zweigeteilten Chor.
Hierbei übernahmen die sogenannten Concertisten die Passagen, bei denen der Chor lediglich von der Continuogruppe begleitet wurde, während bei den übrigen Chorstellen auch die Ripienisten hinzutraten.
Diese Praxis — derer sich höchstwahrscheinlich auch Johann Sebastian Bach selbst bedient hatte — ermöglichte große Flexibilität und Nuancenreichtum. Beide Chöre zeigten beachtliche Leistungen: sichere Intonation, klare Diktion (wenn auch die Vokale nicht immer ganz einheitlich waren) und ausgeprägte Differenziertheit im Vortrag. Die SolistInnen standen dem in nichts nach: Martina Lins gestaltete mit großer technischer Souveränität die Sopranpartie. Sie sang unprätentiös und unaufdringlich (da bedauerte man schnell, daß es keine Sopran-Arien in der h-Moll-Messe gibt.)
Wer sich bislang noch nicht zum Countertenor-Gesang hatte bekehren lassen, fand an diesem Abend Anlaß dazu: David Cordier sang sowohl die Sopran II- als auch die Altus-Partie mit einer Kunstfertigkeit, die ihresgleichen sucht. Eine scheinbar grenzenlose Stimme — das »Agnus Dei«: ein Erlebnis. Wilfried Jochens erwies sich als ein erfrischend untypischer Tenor. Vom berüchtigten »Knödeln« keine Spur. Der Bariton Hans-Georg Wimmer vermochte dank seines dramatischen Gespürs den zweifellos spröden Messtext sehr anschaulich zu gestalten.
Musiziert wurde standesgemäß auf historischen Instrumenten, was insbesondere für die Bläser einige Tücken mit sich bringt. Intonationsschwierigkeiten lassen sich da manchmal nicht ganz vermeiden. Die musikalischen Vorgänge waren transparent, auch wenn man einem geschmeidigeren Musizierstil den Vorzug vor einem »asthmatischeren« und trockeneren eines John Eliot Gardiners gegeben hatte.
In einer Zeit, zu der die historische Aufführungspraxis sich bereits als emanzipiert und akzeptiert betrachten kann, hat diese Aufführung einen wichtigen Beitrag geleistet: sie hat darauf aufmerksam gemacht, daß es auch innerhalb dieser Bewegung großen Spielraum gibt. Historisch ist nicht gleich historisch. Es gibt auch hier zahllose Möglichkeiten der Interpretation; und der Vorwurf, daß historische Aufführungspraxis weniger kreativ und lebendig sei, zielt ins Leere.
Die genaue Mischung von technischer Souveränität und Spielfreude machte diese h-Moll-Messe zu einer der kurzweiligsten Aufführungen dieses Werkes seit langem. Ovationen für alle Mitwirkenden. P.S.: Für 1993 hat man uns die Matthäus-Passion versprochen. Susanne Rupp
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