: Berliner Senat überprüft PDS-Richterin
■ Senat will Akten einsehen und handelt auf fragwürdiger rechtlicher Grundlage/ Richterwahlausschuß brüskiert
Berlin. In dem Streit um die Ernennung eines PDS-Mitglieds zur Richterin auf Probe hat der Senat das Verfahren an sich gezogen. In seiner gestrigen Sitzung beschloß er, Einsicht in die Akten der ehemaligen Richterin am Stadtbezirksgericht Hohenschönhausen, Cathrin Junge, zu nehmen.
Wie Senatssprecher Dieter Flämig nach der Sitzung erklärte, will man sich ein eigenes Bild über die »grundsätzliche sowie charakterliche Eignung« von Frau Junge für das Richteramt verschaffen. Eigentlich hatte der Senat bereits heute über die Ernennung entscheiden wollen. Flämig bestritt, daß die ehemalige SED- Mitgliedschaft von Frau Junge eine ausschlaggebende Rolle für dieses Vorgehen gespielt habe, doch habe es »in der veröffentlichten Meinung einige Hinweise« gegeben, auf die sich der Zweifel des Senats stützt. Der Senatssprecher bezog sich damit augenscheinlich auf Berichte über die PDS-Mitgliedschaft von Frau Junge und ihre vermeintliche Mitwirkung an Fluchthilfeverfahren.
Flämig konnte nicht benennen, auf welche rechtliche Grundlage der Senat seine Meinung stützt, daß er in der Sache ein materielles Prüfrecht habe. Laut Einigungsvertrag, in dem die Übernahmeverfahren für die Richter der ehemaligen DDR geregelt sind, entscheidet über die Berufung in ein Richterverhältnis auf Probe der Senator für Justiz gemeinsam mit dem Richterwahlausschuß. Auch das Berliner Richtergesetz sieht die gleiche Regelung vor, allerdings mit dem Zusatz: »Ist über die Berufung entschieden, so ist er zu ernennen.«
Die Rechtsanwältin Ramona Sieglerschmidt findet das Vorgehen des Senats gegenüber dem Richterwahlausschuß brüskierend. Nach Ansicht von Frau Sieglerschmidt, die Mitglied des Gremiums ist, könne der Senat die Nominierung allenfalls verweigern, wenn er neue Erkenntnisse gewonnen hätte. Doch selbst dann habe er nicht die Befugnis zu eigenen Prüfung, sondern müsse den Vorgang an den Richterwahlausschuß zurücküberweisen. Auch die Vorsitzende der Fachgruppe der Richter und Staatsanwälte in der ÖTV, Renate Citron-Piorkowski, sieht da keinen Spielraum für den Senat. Ihrer Meinung nach habe der Senat nur eine Notariatsfunktion in diesen Verfahren.
Der rechtspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Andreas Gram, begrüßte die Entscheidung des Senats und forderte ihn auf, Frau Junge nicht zu ernennen. Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Grünen kritisierte den Vorgang als einen Eingriff in die unabhängige Rechtsprechung. Von der Justizverwaltung war keine Stellungnahme zu erhalten. Dr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen