: Bund übertölpelt Berliner
■ Nur konfessionelle Schwangerschaftsberatung im Osten
Berlin. Durch eine Eigenmächtigkeit des Bundes ist Ost-Berlin einseitig und unzureichend mit Schwangerschafts- und Familienberatungsstellen ausgestattet. Wie es gestern in der Gesundheitsverwaltung hieß, habe der Bund dort sieben derartige Beratungsstellen eingerichtet, ohne das Land Berlin davon zu informieren. Die Crux: Fast alle dieser Stellen sind an konfessionelle Trägerinnen gebunden.
Gerät eine Ostberlinerin durch eine Schwangerschaft also in eine soziale Notlage, ist sie gezwungen, sich an eine kirchliche Trägerin zu wenden — mit all den damit verbundenen moralischen Wertvorstellungen. Dies wird besonders problematisch, wenn sich die Frau aufgrund dieser persönlichen Notlage erst noch entscheiden muß, ob sie das Kind überhaupt austragen will und kann.
Nichtkonfessionelle Beratungsstellen konnten, obwohl sie bereits vor über einem Jahr ihre Förderanträge gestellt haben, ihre Arbeit bislang nicht aufnehmen. Noch immer haben sie die dafür nötigen Gelder nicht erhalten, monierten gestern VertreterInnen Freier Trägerinnen vor der Presse. Dabei sollen laut Einigungsvertrag 90 Prozent der Beratungsstellen aus einem Förderprogramm des Bundesministeriums für Frauen und Familie, 10 Prozent aus dem Landeshaushalt finanziert werden.
Doch Berlin weigert sich bislang, eine entsprechende Verwaltungsvereinbarung zu unterzeichnen. Streitpunkt, so die Sprecherin der Gesundheitsverwaltung, Gabi Lukas, sei die Forderung des Bundes an Berlin, 10 Prozent der Kosten für die bereits eingerichteten und vom Bund voll finanzierten Beratungsstellen zurückzuzahlen. Solange dieser Streit gärt, werden aber auch die übrigen Trägerinnen nicht gefördert. Die Folge, so gestern die VertreterInnen der Freien Trägerinnen: vorhandene Räume können nicht angemietet werden, qualifizierte MitarbeiterInnen wandern ab, und von der gern beschworenen Pluralität der Angebote kann keine Rede mehr sein.
Dies sei besonders verheerend, so die Verbände, da in Ost-Berlin 90 Prozent der BürgerInnen keiner Kirche angehörten. Auch die vom Senat geplanten drei freien Beratungsstellen reichten angesichts der psychosozialen Situation in den Berliner Ostbezirken nicht aus. Und: Selbst im Westteil der Stadt würden die Hälfte aller Beratungen von bezirklichen Einrichtungen geleistet, erklärte eine Mitarbeiterin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Nur 10 Prozent aller ratsuchenden Frauen wendeten sich hier an konfessionelle Trägerinnen.
Können sich der Bund und das Land Berlin nicht bis zum Ende des Jahres einigen, verfallen die Mittel für die Beratungsstellen der Freien Trägerinnen im Ostteil der Stadt. Dazu werde es jedoch nicht kommen, so Lukas. Innerhalb »der nächsten Tage« könne eine »einvernehmliche Regelung« gefunden und so auch ein finanzielles Fundament für die Freien Trägerinnen geschaffen werden. maz
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