: Carrington nimmt Serbien beim Wort
■ Erstmals seit Beginn des Krieges besteht eine reelle Chance auf einen Waffenstillstand: EG-Vermittler Carrington griff Belgrads Forderung auf, UN-Friedenstruppen in die Kriegsregion nach Kroatien zu...
Carrington nimmt Serbien beim Wort Erstmals seit Beginn des Krieges besteht eine reelle Chance auf einen Waffenstillstand: EG-Vermittler Carrington griff Belgrads Forderung auf, UN-Friedenstruppen in die Kriegsregion nach Kroatien zu entsenden.
Nun scheint endlich doch etwas in Gang zu kommen. Es verdichten sich die Informationen über die Intervention der UNO in den Konflikt zwischen Serben und Kroaten. Nachdem schon am Montag die serbische Führung offen für ein Engagement von UN- Truppen eingetreten war, signalisierte auch Zagreb Zustimmung zu dem Plan, Friedenstruppen ins Land zu lassen. Selbstverständlich haben beide Seiten unterschiedliche Intentionen und Interessen. Es wäre aber viel erreicht, wenn die Kämpfe erst einmal gestoppt werden könnten. Immerhin wurde gestern um 12 Uhr in Dubrovnik eine Feuerpause eingehalten. In Vukovar und anderen Teilen Slawoniens jedoch wurde weiter erbittert gekämpft. Wird jetzt dennoch ernst gemacht mit einer Waffenstillstandsregelung?
Lord Carrington, der von der EG berufene Vorsitzende der Verhandlungskommission, die sich seit Monaten mit wenig Erfolg darum bemüht, konkrete Friedensvorschläge zu erarbeiten, reiste gestern nach Belgrad. Auf dem Weg, bei einer Zwischenlandung in Graz, traf er auf den kroatischen Präsidenten Tudjman. In Belgrad wird er mit dem serbischen Präsidenten Milosevic, mit Verteidigungsminister Kadijevic, aber auch mit dem bosnischen Präsidenten Izetbegovic zusammentreffen. Im Gepäck hat er einen Plan über die Stationierung einer internationalen Friedenstruppe in Kroatien. Die jugoslawische Bundesarmee soll nach der Stationierung dieser internationalen Truppen aus Kroatien abziehen. In einem späteren Referendum soll die serbische Bevölkerung über ihren Status entscheiden. Implizit wird damit zum ersten Mal von internationaler Seite die Veränderung von Grenzen zwischen den jugoslawischen Republiken mitgedacht.
Kein Wunder also, wenn in Kroatien die Mission des Lords mit Mißtrauen betrachtet wird. Zwar muß die kroatische Führung daran interessiert sein, die zerstörerischen Kämpfe zu beenden. Sie kann jedoch nicht einem Plan zustimmen, der die Annexion kroatischen Gebiets durch die Bundestruppen und damit Serbiens legitimiert. Folgerichtig erklärte der ehemalige jugoslawische Staatspräsident, der Kroate Stipe Mesic, schon am Dienstag, Friedenstruppen sollten nach Kroatien kommen, doch müßten sie an den Grenzen des Staates stationiert werden und keinesfalls an der heute existierenden Frontlinie. — In Belgrad hingegen beurteilt man die Initiative des Lords positiv. Denn angesichts des bevorstehenden Winters, angesichts der drohenden internationalen Isolation, des Wirtschaftsboykotts und der Schwierigkeiten, die Reservisten für die Armee zu rekrutieren, kann der Einsatz von UN-Truppen nur von Vorteil sein. Zwar ist in den letzten Wochen in Serbien immer wieder die Diskussion über die Schaffung einer rein serbischen Armee aufgeflammt — vielleicht würden ja die Serben für das Vaterland kämpfen wollen, für die Volksarmee wollen sie dies nicht. Doch die Generalität der jugoslawischen Volksarmee widersetzt sich diesem Plan. Serbien ist an einem Punkt angelangt, an dem die Fortführung des Krieges vor allem Nachteile mit sich bringt. Wenn nun, so das Kalkül seiner Politiker, internationale Puffertruppen an der Frontlinie in Kroatien treten würden, wären die bisher gemachten Eroberungen abgesichert (siehe auch Interview). Wie stark ihr Interesse an diesen UN- Truppen ist, zeigten die Äußerungen serbischer Politiker seit Montag. Indem sie mit dem totalen Krieg drohten, falls die ausländischen Truppen nicht ins Land kämen, gaben sie zu erkennen, wie verzweifelt inzwischen die ökonomische und politische Lage geworden ist. Die Inflation galoppiert, die meisten Betriebe sind pleite, die Arbeitslosigkeit steigt. Halfen Krieg und Nationalismus die Herrschaft der alten Nomenklatura bislang abzusichern, so könnte mit einem Fortdauern des Krieges und dem damit verbundenen weiteren Absinken des Lebensstandards die Geduld der Menschen überstrapaziert werden.
Volksabstimmung: heikler Punkt
Lediglich die Bedingungen Carringtons für einen Rückzug der Armee aus Kroatien ist für die serbische Führung ein fragwürdiger Punkt. Denn dies würde bedeuten, die militärische Vormachtstellung aus der Hand zu geben und sich bei den Bemühungen, eine Lösung um die zukünftigen Grenzen zu finden, den internationalen Gremien auszuliefern. Und da die Zugeständnisse Carringtons an Serbien zumindest Deutschland, Italien, möglicherweise auch Frankreich zu weit gehen, wäre in dieser Frage zumindest für die serbische Führung die Ungewißheit verbunden, bei den folgenden Verhandlungen das wieder zu verlieren, was auf dem Schlachtfeld gewonnen wurde. Denn vor allem Bonn und Rom wollen die serbischen Forderungen nicht anerkennen. Die Ankündigung Genschers, Kroatien und Slowenien Anfang Dezember anzuerkennen, hat Deutschland noch deutlicher als bisher auf die Seite Kroatiens gestellt.
Andererseits besteht gerade im Rückzug der Bundesarmee die einzige Möglichkeit, Kroatien für den Carrington-Plan zu gewinnen. Die Bedingung für Kroatien wäre darüber hinaus — falls sich Tudjman überhaupt angesichts der Kritik an seiner Kompromißpolitik im eigenen Lager auf einen solchen Kompromiß einlassen kann —, daß die kroatische Bevölkerung wieder in die angestammte Heimat zurückkehren kann. Ob Kroatien allerdings eine Volksabstimmung zulassen wird, bleibt fraglich. Zumindest müßten dann die Kroaten mitstimmen dürfen — was im Carrington-Plan bisher aber nicht enthalten ist.
Doch noch ist es nicht soweit. Noch ist keine Übereinstimmung für den Einsatz von Friedenstruppen getroffen worden, noch ist kein Zeitplan gemacht. Auf den Schlachtfeldern wird weiter geschossen, Menschen sterben und unwiederbringliche kulturelle Werte werden zerstört. Doch zum ersten Mal seit dem Beginn des Krieges kann ernsthaft auf einen Waffenstillstand gehofft werden. Erich Rathfelder
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