: Keine Chance für junge Reformer
■ Auf dem CDU-Parteitag versammelt sich heute die grummelnde Basis/ Im Landesvorstand werden Stühle rücken Die Vergangenheit der Ost-CDU ist kein Thema im Saal am Alexanderplatz/ Junge Reformer werden von Diepgen blockiert
Berlin. Wenn sich heute die 390 Delegierten des Berliner CDU-Parteitags in der Kongreßhalle am Alexanderplatz versammeln, dann treffen sie sich an einem historischen Ort. An dieser Stelle und in diesem Saal vereinigte sich der Westberliner Landesverband am 8. September 1990 mit dem Ostberliner Bezirksverband der alten Blockpartei. Um das Einschneidende dieses Datums zu verdeutlichen, zählt die Berliner Union ihre Parteitage seitdem neu. Heute lädt sie folglich zum »zweiten Landesparteitag«, dem ersten nach der Vereinigung.
Trotz aller Rhetorik führen die Westberliner die Regie. Reden von Eberhard Diepgen und dem Bonner Innenminister Wolfgang Schäuble stehen an, außerdem ein Wahlmarathon für diverse Parteiämter. Mit 61 Delegierten, die 3.000 Mitglieder in den elf östlichen Kreisverbänden vertreten, sind die Ostberliner gegenüber 329 Delegierten und 14.000 Mitgliedern aus dem Westteil klar im Hintertreffen. Die Westberliner CDU übernahm zwar dankbar die Rechtsnachfolge, die ausgebaute Organisation und die Mitgliederkartei der Ostberliner, von deren politischen Erbe will sie trotzdem wenig wissen. Ganz ausgeschlossen ist es deshalb, daß auf dem Parteitag (Motto: »Gemeinsam für unsere Zukunft«) über die Vergangenheit der Ostunionisten diskutiert wird. Einige Ostberliner Christdemokraten, wie der Abgeordnete Klaus Toepfer, würden sich das wünschen und verweisen auf ähnliche Debatten im Landesverband Sachsen vor wenigen Wochen. Doch der amtierende Generalsekretär Karl-Joachim Kierey weist solche Ansinnen zurück. Die Berliner CDU sei in einer »völlig anderen Situation«. Die 14.000 Westberliner Christdemokraten hätten »null Anlaß«, über dieses Thema zu reden.
Die Parteiführung hat schon genug damit zu tun, andere unerfreuliche Debatten unter Kontrolle zu halten. Einen Antrag der Wilmersdorfer CDU, das Amt des Landesvorsitzenden von dem des Regierenden Bürgermeisters zu trennen und folglich Eberhard Diepgen nicht als Parteichef wiederzuwählen, sorgte schon im Vorfeld für Unruhe. Chancen werden dem Antrag aus dem vom »Reformflügel« beherrschten Wilmersdorf zwar nicht nachgesagt. Der Wilmersdorfer Abgeordnete Jürgen Adler stelle »seine Anträge aus dem Hinterhof«, höhnt etwa der Fraktionschef Klaus Landowsky. Trotzdem konstatieren viele Funktionäre ein »Grummeln« an der Basis. Die Unzufriedenheit mit der bisherigen Arbeit des Senats wächst. Auch die CDU-Senatoren könnten »manchen Entscheidungsprozeß noch etwas dynamisieren«, formuliert es der Schöneberger Kreisvorsitzende Gerhard Lawrentz höflich. Neben der Verkehrspolitik gelte das auch für die innere Sicherheit, sagt Lawrentz. Der auf Druck der SPD vom Senat beschlossene Stellenabbau bei der Polizei sei an der CDU-Basis ein regelrechtes »Reizthema«.
Die wachsende Sorge um das Profil der eigenen Partei sei nicht zu trennen von der Sorge um den eigenen Posten, analysieren andere Christdemokraten. Am 24. Mai 1992 wird in den Bezirken gewählt. Erteilen die Wähler der CDU einen Denkzettel, müssen viele Bezirksverordnete und Stadträte um ihre Ämter fürchten.
Wenn auch Diepgens Wiederwahl zum Landesvorsitzenden als sicher gilt, so werden doch heute schon im Landesvorstand einige Stühle rükken. Die Hälfte des Landesvorstandes wird ausgetauscht, weil die bisherigen Amtsinhaber nicht mehr wollen oder nicht mehr sollen. Freiwillig geben die Senatoren Jürgen Klemann und Elmar Pieroth ihre Sitze im Landesvorstand auf. Unfreiwillig räumt der ehemalige Ostberliner Parteichef Eberhard Engler seinen Sessel. Die elf östlichen Kreisverbände stellten ihn nicht wieder als Kandidaten auf, weil er »nicht offensiv genug« für Ostberliner Interessen gekämpft hat.
Der neue Landesvorstand werde eine »größere Senatsferne« haben, stellt Kierey fest. Die Ausnahme bildet Umweltsenator Volker Hassemer. Er wollte eigentlich ebenfalls das Parteiamt abgeben und schlug Michael Braun, den ehemaligen Vorsitzender der Jungen Union, als neuen Statthalter der Reformer im Landesvorstand vor. Doch die immer noch alles beherrschende »K- Gruppe« um Diepgen, Landowsky, Klemann und den Bundestagsabgeordneten Peter Kittelmann blockte Hassemers Versuch ab, den Reformernachwuchs zu fördern. Braun könne nicht mit ihrer Unterstützung rechnen, erklärte Diepgen im Landesvorstand ganz unverblümt. Notgedrungen habe sich Hassemer gefügt, heißt es, und erneut seine Kandidatur angemeldet.
Während dieser Streit im Vorfeld geräuschlos ausgetragen werden konnte, gibt es für das Amt des Landesschatzmeisters eine offene Konkurrenz zweier Kandidaten. Gegen den Amtsinhaber Jürgen Wohlrabe tritt der ehemalige Landesgeschäftsführer Klaus Wienhold an. Dieser Schritt hat viele Christdemokraten erstaunt, da Wienhold als politisches Ziehkind von Wohlrabe gilt. Der Ausgang der Abstimmung sei offen, heißt es. Die »K-Gruppe« ist in dieser Frage nämlich uneins. Landowsky votierte in der Wahlvorbereitungskommission für Wienhold, Kittelmann für Wohlrabe. Hans-Martin Tillack
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen