: Die Seele ist ein 20 Zentimeter langer Holzstab
■ Kaum ein Instrument erinnert so stark an den menschlichen Körper wie der Kontrabaß/ Bernhard Kort ist der einzige Violonen-Restaurateur in Berlin/ Der saure Regen verdirbt das Holz und stellt die Zukunft der Instrumente in Frage
Er hat einen Kopf und eine Stimme, einen Hals und zwei Schultern und mißt ungefähr einen Meter achtzig — der Kontrabaß, auch Violone genannt. Wohl bei keinem anderen Instrument hat man derart stark den Eindruck, daß sich seine Erfinder bei der Konstruktion und der Bezeichnung der einzelnen Teile den menschlichen Körper zum Vorbild genommen hätten. Verwunderlich ist es allerdings nicht, schließlich schleppt auch der Mensch Zeit seines Lebens zwei wichtige Resonanzkörper mit sich herum — Kopf und Bauch.
Beschädigten Kontrabässen wieder zur Stimme zu verhelfen hat sich der Instrumentenrestaurator Bernhard Kort zu seiner Lebensaufgabe gemacht. »Bei einem solchen Instrument muß einfach alles aufeinander abgestimmt sein: das Holz, das Modell, die Wölbungslinien, die Decken- und Bodenstärke, die Zargen, das Griffbrett, die Spannung — alles wirkt sich auf den Klang aus. Und nicht nur der Klangkörper, sogar der Lack ist wichtig.«
Doch was ist schon so ein Körper an sich, mögen die Instrumentenbauer gedacht haben, und so gaben sie den Streichinstrumenten auch eine Seele. Im Gegensatz zu ihrem menschlichen Pendant ist der Sitz der Kontrabaß-Seele genau zu lokalisieren. Es handelt sich um einen etwa 20 Zentimeter langen Holzstab, der im Innern des Instruments Decke mit Boden verbindet und Stimme oder eben Seele genannt wird. Mit einem Haken kann man den Stimmstock sogar ein wenig verschieben und so den Klang fein abstimmen, härter oder weicher gestalten, Seelenarbeit sozusagen. Die vielen Parallelen zwischen Mensch und Instrument wundern den Handwerker übrigens wenig: »Na klar, die Violonen leben ja auch! Das Holz arbeitet ständig, dehnt sich noch oder schrumpft — deswegen auch die vielen Reparaturen. Und die Bässe wollen gespielt sein. Wenn sie nicht richtig durchgeknetet werden, wird alles an ihnen starr und steif.«
Gerade die kolossalen Kontrabaß- Körper sind sehr empfindlich. Ihre verhältnismäßig dünne Decke reißt bei Stößen oder niedriger Luftfeuchtigkeit derart leicht, daß ein größeres Orchester von einer Tournee regelmäßig mit zwei oder drei kaputten Bässen zurückkehrt. Dann geht die Feinarbeit des Baß-»Chirurgen« los. Vieles kann man zwar leimen; wenn jedoch Stimme oder Steg beschädigt sind, gilt es, gewissermaßen um das Leben des Instruments zu kämpfen — das Schlimmste muß verhütet werden: ein Stimmriß.
Bernhard Kort hat sich als einziger Berliner Instrumentenhandwerker auf die Reparatur und Restauration von Kontrabässen spezialisiert. Viel lieber würde er eigene Instrumente bauen, doch es mangelt am rechten Holz. Für billige Bässe nimmt man schlichtes Sperrholz. Interessant wird es bei den Vollholz- Violonen. Da kommt ausschließlich Fichte und Ahorn in Frage — beide Hölzer sollten zudem aus den Bergen stammen, groß geschnitten und möglichst alt sein. Früher wurde das Holz fünfzig bis hundert Jahre gelagert, bis es reif war für ein neues Instrument, heute begnügt man sich mit weniger als einem Jahrzehnt. Das Interesse an akustisch erzeugter Musik steigt schon seit längerer Zeit mit entsprechenden Folgen für den Holznachschub. »Es ist fast unmöglich, entsprechendes Holz zu bekommen, weil das meiste davon gleich für Geigen und Celli zerschnitten wird. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis ich für meinen eigenen Baß das richtige Holz gefunden habe.« Der saure Regen und das Waldsterben tragen natürlich ebenfalls zum Holzmangel bei, so daß fraglich geworden ist, wie lange Kontrabässe überhaupt noch gebaut werden können.
Jede Reperatur gleicht einem Experiment, denn herauskommen soll nicht nur ein heiler Kontrabaß, sondern — so Korts Ehrgeiz — eine Klangverbesserung. Anders als bei den Violinen hat für die Violonen nämlich noch kein Stradivari absolute Maßstäbe geschaffen. »Es gibt ganz unterschiedliche Größen und Formen — und im Grunde weiß niemand ganz genau, warum die einen Bässe besser klingen als andere. Es wird bei den Bässen immer noch herumprobiert und nach dem idealen Körper gesucht.« Um sämtliche Zusammenhänge zu erforschen, um zu erfahren, wie alles aufeinanderwirkt, reiche ein Leben ohnehin nicht, meint Bernhard Kort.
Nach einer Reparatur oder Restaurierung brauchen die Klangkörper eine längere Zeit der Erholung. Bis so ein Kontrabaß wieder eingespielt ist, können schon einige Monate ins Land ziehen. Bei der Rekonvaleszenz ist es aber noch nicht vorbei mit der Parallele zwischen Mensch und Violone. Für manche Instrumente kommt nämlich jede Hilfe zu spät, und diese Kontrabässe nennt der Fachmann — wie könnte es anders sein — »Leichen«. Bernhard Kort hat denn auch eine richtige »Leichenhalle«, in der die wurmzerfressenen Überreste ausgeschlachtet werden — oder auf die »Wiederauferstehung« warten. »Bei mancher ‘Leiche‚ lohnt sich vielleicht eines Tages doch noch mal die Reparatur, wenn die Preise weiter so steigen.« Doch wenn die Würmer schon allzu grausam am Werke waren, hat Bernhard Kort immer noch einen letzten Trost parat: »Da ist der große Vorteil gegenüber Geigen: Kontrabässe brennen länger.« Peter Tomuscheit
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