: Heiße Luft bei der WEU in Bonn
Keine Einigung über zukünftige Rolle der Westeuropäischen Verteidigungsunion/ Ein Engagement in Jugoslawien gibt es nur in nationaler Verantwortung/ Kontakt zu Osteuropa verschoben ■ Aus Bonn Andreas Zumach
Bevor man einen Lufballon platzen läßt, muß man ihn erst kräftig aufblasen. Nach diesem in den letzten drei Monaten so häufig strapazierten Prinzip westeuropäischer Außenpolitik bezüglich des Bürgerkrieges in Jugoslawien verfuhr gestern in Bonn auch der Ministerrat der Westeuropäischen Union (WEU). Die 18 Verteidigungs- und Außenminister der neun WEU-Staaten äußerten „Unterstützung“ und „Begrüßung“ ohnehin stattfindender Maßnahmen einzelner Mitgliedsländer. Darüber hinaus konnten sie sich nicht auf gemeinsames Handeln verständigen. Auch die gemeinsame Beschreibung der künftigen Rolle der WEU und ihres Verhältnisses zu Nato und EG gelang erneut nicht.
Die Minister „begrüßten“ Bemühungen des UNO-Kinderhilfswerkes Unicef zur Evakuierung von Kindern aus dem jugoslawischen Bürgerkriegsgebiet. Die Staaten der WEU seien bereit, sich an Anstrengungen zur Schaffung „humanitärer Korridore zu beteiligen“. Am Rande der WEU-Tagung wurde bekannt, daß ein Versorgungsschiff der italienischen Marine sowie je ein Schiff der französischen und der britischen Marine in Dubrovnik angelegt haben bzw. sich auf dem Weg dorthin befinden. Diese Schiffe sollen Kinder und Verwundete aus der heftig umkämpften Adriastadt evakuieren. Genscher betonte, daß es sich bei diesen und künftigen Entsendungen von Schiffen „ausschließlich um nationale Entscheidungen handele“. Falls diese Schiffe bewaffnet seien, geschehe dies nicht mit der Absicht zur militärischen Intervention, sondern „ausschließlich zur Selbstverteidigung“ gegen etwaige Angriffe. Die Minister forderten die WEU-Staaten im UNO-Sicherheitsrat auf, dort bald einen Beschluß zur Entsendung von UNO-Friedenstruppen in Jugoslawien herbeizuführen. Die WEU sei bereit, zur Unterstützung dieser UNO-Friedenstruppe Logistik, Infrastruktur und Aufklärungserkenntnisse bereitzustellen. Nicht ausgeschlossen ist, daß einzelne WEU- Mitgliedsstaaten sich auch mit Soldaten und Waffen an einer UNO- Friedenstruppe beteiligen. Für die Bundesrepublik schloß Genscher dies jedoch unter Verweis auf die Verfassung aus.
Die kurze Debatte zur künftigen Rolle der WEU erbrachte im wesentlichen die Wiederholung der bekannten Kontroversen vor allem zwischen Deutschen und Franzosen auf der einen sowie Briten und Italienern und Niederländern auf der anderen Seite (siehe gestrige taz). Eine von den Ministern eingesetzte Arbeitsgruppe wurde beauftragt, bis zur EG-Außenminister-Tagung am 2.Dezember Formulierungsvorschläge für das Gipfeltreffen in Maastrich zu unterbreiten.
Angeblich weil die WEU zunächst ihre eigene Rolle klären muß, verhinderten die Niederländer dann am Nachmittag einen Beschluß über die Institutionalisierung der WEU- Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten. Somit konnte der amtierende WEU-Präsident Bundesaußenminister Genscher seinen Vorschlag für die Schaffung eines regelmäßig tagenden „Konsultationsrates“ — entsprechend dem vom letzten Nato-Gipfel installierten „Nordatlantischen Kooperationsrat“ — nicht durchsetzen. Die Minister beschlossen lediglich die Einladung der Außen- und Verteidigungsminister Polens, Ungarns, Rumäniens, Bulgariens und der CSFR zu einem einmaligen „Sondertreffen“ mit der Westeuropäischen Verteidigungsunion am 5. Dezember.
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