: Einfach tierisch charmant
■ »Chickens Unlimited« spielten in der Akademie der Künste
Nobody here but us chickens«, gesteht der eröffnende Einakter ein und hat die Problematik im Griff: Zwei Hühner verständigen sich darüber, daß sie ihr Menschsein nur noch als Huhn aushalten können, »I touched peace at last in the order of the henhouse«. Eine Struktur muß her, in der das Fremdsein gerechtfertigt ist, zwei Männer also wurden zu Hühnern. Wenn sie aber dennoch Dinge sozusagen auf Erden zu verrichten haben, darf niemand es merken, daß sie eigentlich Hühner sind. Die Identität braucht eine innere Klarheit, und findet ja dennoch keine Ruhe, ach, die Hühner balgen sich noch darum, wer »best jersey breed« oder wegen weißer Federn von alleredelster Sorte sei. In kindlicher Verschrecktheit fiepen, gackern, flattern sie mehr erbärmlich daher, herzergreifend verloren in Anbetracht der Welt. »To be completely alone out here is more than feathers can stand.« Diesen wunderbar symbolisierten Abgründen hat man bei den »Berlin Play Actors« schon öfter ins Auge gesehen, woher diese Schauspielgruppe nun abgesplittert ist und mit unverfroren englischem Humor drei zeitgenössische Stücke von Peter Barnes englischsprachig, körpersprachig bringt.
»More than a touch of Zen« zieht die Belustigung direkt aus der Behinderung, wir haben's mit zwei Spastikern zu tun, die Judo lernen wollen. Wie aber sollen sie jemanden angreifen, wenn sie keine Bewegung zielen können? Doch wie kann andererseits jemand sie angreifen, wenn ihr Verhalten so unkalkulierbar ist? Also wird's zum Trumpf, der hochgradig streng gestylte Meditationsmeister mit Schwarzgurt, Jan Rainer Uebersezig, fängt auch bald an zu zittern und zu hampeln, und die Norm der ruhigen Balance kippt einfach um. Die Lacher entstehen durch die unbedarfte Hilflosigkeit, mit der sie sie selber bleiben und wir ihren Schwächen ausgeliefert sind, als wären's unsere eigenen. Da haben auch die Zuschauer das Abseits des mitleidigen Blickes völlig übersprungen. Morice Jones und Patrick Lanagan eskalieren jenseits ihrer selbst, was wie eine befreite Hingabe an den Fimmel, den wir alle haben, über die Bühne weht.
»Not as bad as they seem« sind dann wieder Behinderte — dies Wort geht dabei schon unmittelbar in die Hose, wie auch sie sich gegenseitig in die Hose gehen. Judith und Berridge paaren sich ungehemmt, während sich der Ehemann der guten Frau mit dem abgöttischen Hollywoodlook noch ehrwürdigen Diensttätigkeiten hingibt. Leider taucht er ein wenig zu früh auf, und der Gast, den es nicht geben dürfte, ist noch im Raum. Er kann ihn nicht sehen, nur fühlen, und der andere, der diesen auch nicht sehen kann, kann nur noch den Fensterrahmen zur Flucht fühlen.
Das Ganze spielt im Zwanziger- Jahre-Schmalzmilieu, die Protagonisten sind Blinde. Auch da gibt es wieder Hierarchien, wer konnte mal sehen, wer ist blind geboren, wie trübsinnig ist doch das Leben für in den Tunnel der Dunkelheit Gezwungene... Aber weil die Hand des Ehemanns haarscharf dirigiert werden muß, sie sich alle gegenseitig mit ihren Fühlstöcken fast erpieken, wird's eine bravouröse Lachsalve. Der Scharfsinn der kurzen Form, die über Hand und Fuß zu Hand und Fuß kommt. Sophia Ferdinand
Bis 1.12., Mittwoch bis Sonntag 20.30 Uhr, Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 1/10.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen