: Ein fast gelungener Abschluß
■ »Mützenwexel« von Paul Maar und »Leonce und Lena« im Theater der Freundschaft
Um Kindertheater sinnvoll zu beurteilen, sollte man die Adressaten beobachten. Und denen schien der Mützenwexel am letzten Tag des »FamilienHerbstPaketes« im Theater der Freundschaft nicht besonders zuzusagen.
Wer die Mütze hat, hat die Macht — eine Familie lernt durch Rollenspiel ihre Strukturen kennen. Im übertragenen Sinn sollen die Kinder lernen, Machthabern nicht blindlings zu folgen. Alles schön und gut, nur inszeniert Hella Müller das Stück von Paul Maar zu subtil für Kinder ab neun Jahren. Ihnen entgeht der Gleichschritt der Familie, wenn Tante Marlene die Mütze aufhat und befiehlt —, oder aber sie können damit nichts anfangen. Und wenn Opas Verteidigungshysterie fast zum Angriff auf Familienmitglieder ausartet, sieht man nur ratlose junge Gesichter ringsumher.
Eine spritzige Aufführung mit viel Tempo und Witz hätte schon gereicht, für die Schauspieler sicherlich kein Problem, und auch das Stück birgt genügend komische Vorgaben. So aber zieht sich die Handlung zäh bis zum Ende, immer bemüht, bloß nicht zu zeigen, worum es geht.
Am Abend dann die letzte der sieben Premieren im TdF: Büchners Leonce und Lena für Menschen ab 15. Regisseur Peter Schroth schafft einen faszinierenden Ausklang dieses ohnehin schon erstaunlichen Neubeginns im größten deutschen Kinder- und Jugendtheater.
Inmitten von prächtigen roten Wänden und verschachtelten Plexiglasgängen lebt Prinz Leonce am Hof seines Vaters, König Peter. Seines dekadenten Lebens überdrüssig, beschränkt er sich darauf, Faxen zu machen. Er spielt den Affen, wenn er beobachtet wird, und verstößt seine Geliebte Rosetta. Als er erfährt, daß er die fremde Prinzessin Lena (Bettina Engelhardt) heiraten soll, reist er mit seinem Freund Valerio nach Italien ab. Ebenso ergeht es Lena, auch sie weigert sich, einen Unbekannten zu ehelichen. Beide lernen sich im Ausland kennen und lieben und kehren an den Hof König Peters zurück, der befriedigt abdanken kann.
Zur maschinellen Musik von Laurie Anderson bewegen sich die Akteure durch die Geschichte. Peter Schroth vermischt kalte Horrorvisionen mit romantischen Gefühlsbezeugungen. Leonce in seinem gläsernen Käfig (Bühne: Bernhard Schwarz) verzweifelt an seiner inneren und äußeren Leere: um ihn herum nur Bürokraten in schwarzen Mänteln und Melonen; hält sein Vater eine Rede, werden unzählige dieser Figuren von der Bühnendecke heruntergelassen — die Masse, das Volk, keine Individuen. Der Staat hat aufgehört, ein Produkt der einzelnen zu sein.
In Lena findet Leonce einen Gegenpart. Sie fällt aus seiner artifiziellen Welt heraus, besitzt eine natürliche Naivität, die dem Ideal von Leonce entspricht. In ihren Szenen stehen romantisch-kitschige Stellwände dem sterilen Kunststoff gegenüber, Lena trägt — ironisch überzogen — einen Blumenkranz im Haar. Bei der Heirat erreicht die Ironie ihren Höhepunkt: ein Hauch Seargent Pepper, Leonce und Lena in Hippieklamotten, der König entledigt sich seines königlichen Gewandes und rennt erleichtert davon, alle feiern. Aber: »Morgen wird alles wieder anders sein.«
Wer will, kann viele Bilder in Schroths Inszenierung entdecken: Faschismusmetaphern, vielleicht auch die Wiedervereinigung als ein »Ehepaar«, das sich nicht kannte und wollte — auf jeden Fall schwebt das »Deutsche« über dem Hof von Leonce und Lena, in Gestalt einer Pappfigur mit Deutschlandfahne auf einem Stuhl hoch über der Bühne. Und für den Rest des Publikums, der Unterhaltung pur möchte, bleibt immer noch eine gut ausgearbeitete Komödie, die dem Zuschauer nichts aufdrängt und von jedem Ensemblemitglied hervorragend präsentiert wird. Anja Poschen
Mützenwexel am 24. und 30.11. jeweils 16 Uhr; Leonce und Lena am 30.11. und 21.12. jeweils um 19 Uhr im Theater der Freundschaft, Parkaue/Hans-Rodenberg-Platz 1, Berlin-Lichtenberg.
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