: „Lassen Sie doch den alten Kokolores ruhen“
Ein Haus in der Kölner Innenstadt fungierte im Dritten Reich als Gestapo-Zentrale/ Tausende von Gefangenen wurden in seinen Kellern gefoltert und ermordet/ Die Stadt Köln verschleppt die Einrichtung eines geforderten Dokumentationszentrums ■ Aus Köln Ingo Zander
Mitten in Köln steht das „El-De- Haus“, so benannt nach seinem ehemaligen Eigentümer, dem Unternehmer Dr.L-eopold D-ahmen.
Nach dem Kriege mietete die Stadt darin Räumlichkeiten für Verwaltungsaufgaben an. Für manchen Kölner eine schmerzhafte Entscheidung, weil viele das „El-De-Haus“ noch in traumatischer Erinnerung haben. Als Sitz der Stadtpolizei Köln/Gestapo vom 1.Dezember 1935 bis zum 5.März 1945 ist das „El-De-Haus“ in Köln und weiter darüber hinaus zu einem Inbegriff nationalsozialistischer Schreckensherrschaft geworden. Tausende von Bürgern aus ganz Europa wurden in den Kellern des mehrstöckigen Hauses aus politischen und „rassistischen“ Gründen gefoltert und ermordet. Doch die Stadt brauchte über drei Jahrzehnte, um sich dieser Seite der Kölner Geschichte zu stellen, und auch das nur halbherzig.
Anfang der sechziger Jahre beklagten sich ehemalige Gestapo- Häftlinge darüber, daß sie in der ehemaligen Gestapo-Zentrale ihre Rentenangelegenheiten erledigen müßten. Die Beschwerden verhallten.
Der Kölner Antifaschist Sammy Maedge, ein Kunstglaser, hatte zudem entdeckt, daß der berüchtigte Gestapo-Keller und vor allem die Inschriften der Gefolterten an den Wänden noch vollständig erhalten waren. Maedge wollte davon aus Dokumentationsgründen Fotografien machen. „Da ist nichts zu fotografieren. Lassen Sie doch den alten Kokolores ruhen, die Zeit ist lange vergessen“, beschied ihm damals Dr.Georg Dahmen, der Eigentümer des Hauses. Ende der sechziger Jahre schlug Maedge dann Alarm, als er erfuhr, daß Renovierungsarbeiten im „El-De-Haus“ begannen und ein Teil der Zellen geweißt wurden.
In Köln bildete sich daraufhin der „El-De-Haus e.V.“, in dem Vertreter von SPD, Grünen, CDU, des DGB, der evangelischen Kirche, der Synagogen-Gemeinde Köln und Einzelmitglieder sich zusammengeschlossen haben. Ihre Absicht war, eine Dauerausstellung über die NS- Zeit in Köln zu etablieren, was bis heute nicht gelang. Wohl gibt es aber Teilausstellungen. Das „El-De- Haus“ bot sich dafür insofern an, als hier eine Gestapo-Zentrale beinahe vollständig erhalten geblieben ist.
Der Rat stimmte dem Anliegen 1979 zu. Heute gibt es Sonderführungen für Gruppen und Schulklassen beim Kölner Museumsdienst. Der Gefängnistrakt ist über zwei schmale, steile Treppen zugänglich. Die meisten Zellen sind gerade fünf Quadratmeter groß, die geräumigste 9,3 Quadratmeter, in sie wurden über dreißig Häftlinge hineingepfercht, wie eine Inschrift anzeigt.
Diese Inschriften lassen die Besucher erbleichen — über 1.800 Wandinschriften und Einritzungen der NS- Opfer auf den Zellenwänden sind erhalten geblieben. Namen, Adressen, Kritzeleien und sogar Gedichte, viele in kyrillischer Schrift von verschleppten Zwangsarbeitern aus der Sowjetunion. „Ihre ,stummen Schreie‘ dokumentieren Verzweiflung, Todesangst, Trennungsschmerz und Heimweh, aber auch unbeugsamen Widerstandswillen und Kampfgeist“, heißt es in einer Information der Stadt.
Dennoch beharren die Vereinsmitglieder weiter auf der Einrichtung eines Dokumentationszentrums, in dem nicht nur das Schauerliche präsentiert wird, um durch Emotionalisierung eine Identifikation mit den Opfern hervorzurufen. So wichtig diese Angebote sind, sich die anonymen NS-Opfer als Menschen, die gefoltert und ermordet wurden, vorstellen zu können, so problematisch bliebe damit alleine der Aufklärungswert. Gedenken soll informieren, Raum lassen für das Studium von Dokumenten, von Schicksalen der Opfer, im regen Austausch mit schulischer und außerschulischer Bildungsarbeit.
Das Kölner NS-Dokumentationszentrum sammelt deshalb auch Bild- und Tondokumente zum Thema Nationalsozialismus, bietet eine Präsenzbibliothek an, erforscht Widerstand und Verfolgung in Köln.
Die Aktivitäten der Stadt sind aber trotzdem ohne echtes Engagement, weil es seit zwölf Jahren nicht gelungen ist, den Ratsbeschluß einer Dauerausstellung NS-Zeit in Köln zu verwirklichen. Jahrelang konnten die Stadtväter sich den Bauch pinseln, indem sie auf ihren Ratsbeschluß von 1979 und ihren „guten Willen“ verwiesen. Lange Zeit konnte man sich auf die Schwierigkeiten mit den heutigen Eigentümern des „El-De-Hauses“ hinausreden. Schließlich verzögerte sich der notwendige Umbau des umstrittenen Baus, weil für die hier noch residierenden Mitarbeiter der Kölner Verkehrsüberwachung keine Ersatzbüros existierten. Und nun ist aufgrund städtischer Sparmaßnahmen der Ausbau des NS-Dokumentationszentrums wieder blockiert.
Im Herbst 1991 sollten eigentlich schon 250.000 Mark an einen Architekten bezahlt werden, damit Pläne für den Umbau des „El-De-Hauses“ vorgelegt werden könnten. Doch während für die Aufarbeitung der NS-Geschichte in Köln erst einmal die Haushaltssperre einklinkte, signalisierte man verwaltungsintern, daß jetzt bei knappen Geldern die „Hohe Kultur“ in der Stadt favorisiert werde.
„Ohne die Dauerausstellung bleibt das NS-Dokumentationszentrum jedoch ein Torso“, gibt Peter Liebermann vom „Verein El-De- Haus“ zu bedenken. Tatsächlich bietet sie erst die Möglichkeit, die einzelnen Elemente der Arbeit miteinander zu verknüpfen und den Bildungsauftrag sinnvoll wahrzunehmen, in Zeiten des wieder aufkeimenden Rassismus dringender denn je. Auf einer Mitgliederversammlung am vergangenen Wochenende forderte der „Verein El-De-Haus“ nun den Rat der Stadt Köln auf, umgehend für die Realisierung des einstimmig beschlossenen Konzepts zu sorgen. Am kommenden Dienstag, wenn der Kulturausschuß der Stadt Köln tagen wird, wird mit einer Vorentscheidung zu rechnen sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen