: Verlassen und verflucht
■ Die geplagten und einsamen Blau-Weißen besiegten Fortuna Köln mit 2:1
Olympiastadion. Es ist einfach nicht zu verstehen. Warum will in Berlin kaum jemand zum Fußball gehen? Daß dort nur zweitklassiger Sport geboten wird, zugegeben, doch bieten sich im Umfeld allerlei Annehmlichkeiten. Es geht um die arme, mißachtete und permanent verkannte Spielvereinigung Blau- Weiß von 1890, die seit dem Wochenende eine neue ungewöhnliche Bestmarke vorzuweisen hat. Nämlich 697. Keine Äpfel oder Birnen, gelbe oder rote Karten, Gegentore oder verletzte Spieler, es sind: Fans, ZuschauerInnen, das Volk. Ganze 697 waren im Olympiastadion gegen die Fortuna aus Köln. 75.304 freie Plätze in der ekligen Betonschüssel an einem trüben Herbsttag, niemand zu sehen und zu hören, ganz allein vernebelt in der monströsen Architektur aus unseligen Zeiten: grauslig, grauslig.
Welch unübertroffenen Vorzüge aber hat doch ein Besuch bei den Blau-Weißen! Zunächst einmal die bequeme Anfahrt mit Sitzplatzgarantie in der U-Bahn. Die paar hundert Meter von der Bahn zum Stadion werden zum erholsamen Spaziergang in freier Natur. Ohne Schlangestehen lädt eine saubere Wurstbude zu besinnlichen Atzungspausen, um sich für die bevorstehende Aufregung des Spieles zu stärken. Die letzte Hürde, das Erstehen einer Karte, geht blitzschnell, und im Stadion herrscht eine grandiose und freie Auswahl an Sitzplätzen.
Was dann folgt, ist dem Zufall überlassen. Der erste Punktgewinn der Blau-Weißen seit fünf Spielen, dazu auch noch doppelt, war recht glücklich, denn was im Dunst zu erkennen war, ließ meist den Wunsch erwachen, der Nebel möge sich vollends in die olympische Betonburg senken. Vielleicht leiden die Blau- Weißen immer noch unter dem außerirdischen Fluch, der einen ihrer Spieler verfolgt. »Heute spielen sie allesamt unter jenem Unstern, der den unsterblich unseligen Jürgen Mohr ... nicht mehr verließ; sondern seine unglaublich unbedarften Aktionen nur noch mit Gelächter zu begleiten hieß.«
Wir glauben nicht, daß Berlins Trainer Wolfgang Metzler je Eckhard Henscheid gelesen hat, trotzdem schmiß er eben jenen Mohr vor kurzem aus der Mannschaft; nur geholfen hat's bisher nicht. Immerhin aber zu diesem knappen Sieg gegen die Kölner Fortuna. Schmiernik
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