Die Friedensbewegung klagt an

■ Am Wochenende findet in Stuttgart eine „bundesweite Anhörung zum Golfkrieg“ statt/ Der UNO und den Alliierten werden „Kriegsverbrechen“ vorgeworfen/ Über der Veranstaltung hängt der dunkle Schatten der Einseitigkeit

Berlin (taz) — Die Auseinandersetzung um Schuld und Verantwortung in der ehemaligen DDR ist gemeint, wenn in den letzten Monaten in der Bundesrepublik der Begriff des „Tribunals“ öffentlich diskutiert wurde. Die Vertreter des Tribunal-Gedankens hoffen, jenseits der Justitiabilität durch den Versuch eines öffentlichen Gesprächs Opfer und (hoffentlich auch) Täter zu konfrontieren. Dabei wird der Begriff bei der Diskussion um Formen öffentlicher Auseinandersetzung und Bewußtmachung sehr kritisch beleuchtet, da ihm der Geruch des moralischen Rigorismus, der Besserwisserei und des blinden Opfer-Täter-Schemas anhaftet.

Abseits dieser grundsätzlichen Debatte findet am Wochenende in Stuttgart eine „bundesweite Anhörung zum Golfkrieg“ statt, der im Februar in New York ein „internationales Tribunal“ folgen soll. Hier will man sich bewußt nur mit den „Kriegs- und Völkerrechtsverbrechen der Siegermächte im Golfkrieg“ beschäftigen: „Die Sicht der Opfer [soll] die Aufarbeitung des Golfkrieges bestimmen“, lautet eine Pressemitteilung der Veranstalter. Zwar ist relativierend die Rede davon, „daß im Golfkrieg beide Seiten schwere Kriegsverbrechen“ begangen hätten, doch zielt das Tribunal ausschließlich auf das Agieren der „Sieger“ und bewegt sich damit im Rahmen bekannter linker Veranstaltungen wie etwa dem „Russell-Tribunal“. Staatsbürgerliche Kritik richtet sich eben immer nur gegen die eigene Obrigkeit und deren Vormacht USA.

Ein Jahr nachdem die Golfkrise und der folgende Krieg die öffentliche Debatte in ungeahnter Weise bestimmte, behaupten die Veranstalter, es gebe immer noch kein öffentliches Bewußtsein für „das Verbrechen dieses Krieges und seine Kriegsverbrechen“, auch wenn dagegen Millionen Pazifisten auf die Straße gegangen seien. Dies nach diversen Studien der Kriegs(folge)schäden und des Verhaltens der Alliierten, das auch viele Kriegsbefürworter mittlerweile skeptisch stimmt, so pauschal zu behaupten ist bedenklich. Organisatoren der Veranstaltung vom 29. bis 30.11. sind die Gesellschaft „Kultur des Friedens“ wie auch das „Friedenskomitee 2000“ unter Leitung des Friedensforschers Alfred Mechtersheimer. Mehr als dreißig Wissenschaftler, Augenzeugen und Sachverständige stehen zur Seite — auf dem Podium sollen u.a. der norwegische Friedensforscher Johan Galtung und die israelische Anwältin Felicia Langer sitzen.

Hauptreferent und Chefankläger ist Ramsey Clark, ehemaliger US- Justizminister. Für Clark wie für große Teile der Friedensbewegung ist klar, daß die USA von Anfang an bewußt auf eine militärische Auseinandersetzung zusteuerten und Saddam Hussein mit dessen Kuwait-Invasion in die Falle tappen ließen, obwohl, wie auch Alfred Mechtersheimer in einem Aufsatz meint, dafür noch keine endgültigen Beweise vorlägen. Clark nennt dies „Verbrechen gegen den Frieden“, weswegen er Bush, Quayle, Baker, Cheney, Webster, Powell, Schwarzkopf und andere in 17 Punkten anklagt. Die deutsche Veranstaltung ist Teil einer weltweiten Anhörungsreihe, deren Höhepunkt das in New York stattfindende Tribunal anläßlich des 1. Jahrestages des Beginns der Bodenoffensive im Februar 1991 sein wird.

Über dem Willen zur Aufklärung hängt der Schatten der Vorverurteilung

Schwerpunkt der zweitägigen Veranstaltung in Stuttgart wird die Vorstellung und Diskussion einer 100seitigen Dokumentation sein, die sich nicht nur mit völkerrechtlichen und politischen Fragen der Kriegslegitimität beschäftigt, sondern auch mit der Kriegsführung der Alliierten, der Rolle der UNO wie auch den Folgen der 43tägigen Offensive. Besondere Berücksichtigung soll dabei auch die Bundesrepublik finden. Die Veranstalter reden von Indizien, daß sich „die deutsche Regierung der Vorbereitung eines Angriffskrieges schuldig gemacht“ habe.

Über dem durchaus begrüßenswerten Willen zu Aufklärung, Information und Rekapitulation des Krieges wie seiner Langzeitfolgen hängt ein dunkler Schatten der Einseitigkeit und Vorverurteilung. Dies ist auch immer wieder in den Ausführungen Alfred Mechtersheimers zu konstatieren. Dort wird die UNO zum „potentiellen Kriegsverbrecher“, indem sie im Rahmen des Artikels 42 der Charta („mit Luft-, See- oder Landstreitkräften die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen durchzuführen“) handelte und seiner Meinung nach vom Kriegsverhinderer zum Kriegsführer mutierte. Im Namen der UNO sei „eines der größten Kriegsverbrechen der Neuzeit“ begangen worden, eine nicht weiter verifizierte Behauptung. Der Golfkrieg bedeutete nach Mechtersheimer den „Einsatz von technologischem Material“, um, wie er Ramsey Clark zitiert, „ein verteidigungsunfähiges Land zu zerstören“. Clark meint den Irak. Dessen chemische und atomare Arsenale wurden, wie die mühsamen Recherchen der UN-Inspekteure gerade bewiesen, eben nicht unterschätzt. Beim Luft- und Bodeneinsatz seien „zwischen 125.000 und 300.000 Menschen getötet“ worden, irakische Soldaten, die „zu Hunderttausenden in Uniform in ihren Stellungen und Bunkern auf ihre Hinrichtung warteten“, seien mit unglaublicher Brutalität „zu Tausenden in ihren Schützengräben lebendig begraben worden“. Die Brutalität des Krieges wurde auch mit den offiziellen Behauptungen von „chirurgischen Schlägen“ und dem „High-Tech-Krieg ohne Blut“ verschleiert. Mechtersheimer zitiert wiederum Ramsey Clark, nach dem die „USA bei ihrer völkerrechtswidrigen Invasion von Panama mehr Opfer verursacht haben als der Irak in Kuwait“ — somit also die gesamte „Barbarei“ der Alliierten mit der irakischen Besetzung Kuwaits nicht zu legitimieren sei. Was sollen solche Gleichsetzungen?

Das Tribunal eine „Orgie der Rechthaberei“?

Eindeutig seien auch die bisher gesammelten Beweise über die „gezielten Zerstörungen ziviler Ziele und die systematische Zerschlagung der Infrastruktur, die auch nach Einstellung der Kampfhandlungen Tausenden von Kindern und Kranken das Leben gekostet hat und auch künftig noch unzählige Opfer fordern wird“. Fakten, die niemand negiert.

Ein Tribunal solle keine „Orgie der Rechthaberei sein“, sagte Wolfgang Thierse in einem gestern in der taz veröffentlichten Interview. Bei der hier vorgestellten Veranstaltung wird genau dieser Eindruck erweckt.

Auch Mechtersheimer verschenkt die Chance, die zu erreichen, die — für den Pazifisten, der jegliches Recht auf Krieg ablehnt, unverständlich — auch aus moralischen Gründen für diesen Krieg waren. Im Interesse einer Anhörung, die mit dem Begriff „öffentlich“ kein Schindluder betreibt, muß über Grenzen der Souveränität, das Interventionsrecht der UNO — auch militärisch —, die Rolle der USA nach dem Ende der bipolaren Welt und die nach und auch durch den Golfkrieg in Gang gekommene Befriedung des Nahen Ostens debattiert werden. Wenn nicht, ist alles nur Selbstbeweihräucherung und späte Rache einer frustrierten Friedensbewegung. Andrea Seibel