: Unter der Soutane wird geschmuggelt
Warschau (taz) — Polens Kirchen sind von Steuer und Zoll befreit. Außerdem ist das Kirchengesetz so liberal, daß sich fast täglich neue Sekten gründen und sofort anfangen, munter drauflos zu importieren: Tanklastzüge voller Benzin, Wagenladungen von Fernsehapparaten und Sattelitenantennen, und tonnenweise Schokolade und Speiseeis rollen im Namen Gottes über die polnische Grenze.
In Stettin fuhren vor einem Monat 21 große Tanklaster mit 1.250 Tonnen Benzin vor. Als die Zöllner die Frachtpapiere betrachteten, trauten sie ihren Augen nicht. Als Abnehmer figurierte die Tschenstochauer „Vereinigung des Apostolischen Lebens-Werk im Dienst des Erbarmens“. Es war nicht der einzige gottgefällige Import dieser Art.
Die „Bruder Albert Gemeinde“ in Danzig zum Beispiel erhielt 454 Fernseher und kurz darauf 800 Satellitenantennen. Diese Flut frommer Gaben aus dem Ausland hat ihren Grund: Die Kirche ist in der Praxis nicht nur von der Steuer, sondern auch vom Zoll befreit. Beides gilt zwar nur dann, wenn ihre Tätigkeit gemeinnützig und nicht profitorientiert ist, doch die Grenzen sind da fließend. Um den Armen der Stadt zu helfen, möchte so das Pallatinerhospitium in Danzig eine eigene Klinik bauen. Dazu braucht man Geld. Und das kommt, wie eine polnische Wochenzeitung es beschrieb, aus dem Betrieb einer mittleren Außenhandelszentrale kirchlicher Provenienz, die so in Danzig entstanden ist. Das Hospiz importiert von Speiseeis über Elektrogeräte und Fernseher so ziemlich alles, was nicht niet- und nagelfest ist und sich im Lande an den Kunden bringen läßt. Dabei haben die frommen Unternehmer den Vorteil, billiger verkaufen zu können: Seit September sind sie von der Umsatzsteuer befreit. Inzwischen hat das Hospiz schon 16 Milliarden Zloty (1,5 Millionen Dollar) zusammen, während sich Staatsanwalt, Finanzamt, Zoll und Finanzministerium noch heftig streiten, ob das auch alles rechtens ist.
Klarer ist da schon ein anderer Fall, in dem Treibstoffimporteure einfach in Namen der Kirche unterschrieben, um Abgaben einzusparen. Eine dänische Firma wollte so den Barmherzigen Brüdern von Tschenstochau einfach die 1.250 Tonnen Benzin schenken, um so vom Zoll befreit zu werden. Doch die wußten gar nichts von ihrem Glück, und so schipperte der Tanker wieder zurück nach Kopenhagen. Wenig Chancen haben solche Geschäfte in Stettin, wo die Chefin des Zollamtes der Ansicht ist, Lieferungen für die Kirche könnten nur dann zollbefreit werden, wenn ihre Anzahl nicht darauf hindeute, daß sie für den Handel bestimmt seien. Worauf man die gläubige Katholikin prompt beschuldigte, sie „vertrete Kräfte, die der Kirche feindlich gesinnt sind“.
Einstecken muß sie indessen nicht nur von Katholiken. Marek Kwiecien, seines Zeichens Erzbischof der „Kirche der Vereinigten Christen“, ist schlecht auf Zoll und Presse zu sprechen, seit herausgekommen ist, daß seine Sekte 25 Tonnen Schokolade, 18 Limousinen und 42 Tonnen Imprägnierfarbe zollfrei einführen wollte. Offizielle Begründung des selbsternannten Bischofs: „Die Autos sind für unsere Pfarrer, die Schokolade verteilen wir an Kinder, und die Farbe brauchen wir für unser neues Gotteshaus.“ Inzwischen weiß man über die Vereinigten Christen etwas mehr, seit deren Erzbischof, der auch gar nicht Kwiecien heißt, hinter Gittern sitzt. Die meisten der Unterschriften der Kirchenmitglieder, mit deren Hilfe er seine Sekte amtlich registrierte, erwiesen sich als gefälscht. Polens Kirchengesetz ist indessen so liberal, daß sich potentielle Sektengründer nicht einmal ausweisen müssen. Kein Wunder, daß so inzwischen bereits über 40 Sekten registriert wurden — 100 Prozent mehr als im letzten Jahr vor der Einführung der Zollbefreiungen. Ob die neuen Kirchen in die Fußstapfen der „Vereinigten Christen“ getreten sind, weiß man im Finanzministerium nicht. Kontrolliert werden dürfen sie nur, wenn bereits Anhaltspunkte für ein Verbrechen vorliegen. Klaus Bachmann
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