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Sterben und Lieben

■ Glucks Orfeo ed Euridice: Tanz und Oper mit dem Osterchorsteinway

Orpheus und Eurydike guckten auf der Schlachthof-Bühne oft um die Ecke. Dort stand ihr schlecht und wechselhaft beleuchteter Dirigent. War es dunkel auf der Bühne, wurde sein Taktstock zum letzten flackernden Stern über der finsteren Unterwelt der Antike, in der ein Chor seinen Einsatz in der Ferne suchen mußte.

Und doch brachte der Dirigent des Osterchorsteinway vieles zusammen, was bei der Premiere nur schwer zueinander fand: ein Orchester, das nicht im Graben, sondern auf der Bühne spielte; einen Chor, der weit weg auf der anderen Seite der Bühne sang; TänzerInnen und SängerInnen zwischen beiden, die nach links und rechts und auch noch ins Publikum sehen mußten. Da stimmte mancher Einsatz nicht — aber die Liebenden Orpheus und Eurydike fanden noch zu sich.

Dieses Paar verband eine traurige Geschichte. Neuvermählt erlag Eurydike einem Schlangenbiß, doch Orpheus folgte ihr ins Schattenreich der Toten und erbat von den Göttern ihre Wiederkehr. Die ließen sich erweichen und gaben sie ihm mit, aber: auf ihrem Weg zurück in die wirkliche Welt dürfe er sie nicht sehen. So ging sie hinter ihm , doch langsam und humpelnd vom Schlangenbiß. Und Orpheus sah sich nach der Zögernden um, trotz des Verbots. Also mußte sie abermals sterben, kaum hatte sie mit voller und schöner Stimme Gelegenheit gehabt, ihre Liebe zu bekunden.

Nur: Orpheus schien das nicht zu berühren: ausdruckslos blieb er im Schauspiel, so bezaubernd auch der alles begleitende Amor ihr Leid besang. Armer Orpheus, er mußte Altus singen, weshalb auch in historischen Aufführungen Frauenstimmen seinen Part übernahmen.

Seine Geschichte ist Mythos und zugleich der Wille, sich aus ihm zu befreien — ein Hintergrund, der sich dem Zuschauer kaum erschloß. Denn gesungen wurde auf Italienisch, so daß alle Worte im Schlachthof unverstanden verhallten und nur das Auge der Handlung folgen konnte.

Die Geschichte wurde vom Ensemble nicht gemeinsam erzählt. Vieles geschah nebeneinander, was zueinander gehört. Die Sänger waren nicht in den Orchestergraben verbannt, aber sie spielten die Handlung nicht, waren im Ausdruck auf Gestik und Mimik beschränkt. Was in ihnen geschah, symbolisierten ihre tanzenden Replikanten, die hinter ihnen auf der Bühne erschienen. Zwei Personen pro Rolle: die eine im Tanz, dessen Symbolik verschlossen blieb, die andere im Gesang mit ausdruckslosem Gesicht.

Manchmal war die Aufführung wie eine Spieluhr, die zu ihrer Melodie wunderbare, doch sich stetig wiederholende Bewegungen vollführt, zu schnell oder zu langsam läuft und in leeren Bewegungen erstarrt. Begleitet von verborgenen ChorsängerInnen, bis auf die Gesichter verhüllt in schwarzen Gewändern. Die Beteiligten schienen nur dann ergriffen, als die SängerInnen die Unterwelt verließen und in zerschlissenen Kostümen Leben in den mechanischen Ablauf brachten. Nur kurz. Denn als zum zweiten Tode Eurydikes eine an der Decke verborgene Nebelmaschine ein verzweifelt theatralisches Rauchwölkchen ausstieß, wollte keiner richtig traurig sein.

Auch das Orchester nicht, es genoß vielmehr den durch das Abbleben entstandenen Frieden auf der Bühne, um sich die ihm zustehende Bedeutung zu gewähren. Ohne Ablenkung verlor es die rezitative und tröpfelnde Spielweise einer brav-barocken Interpretation, zu der die Komposition verführen mag. Waren die Musiker unter sich, entfachten sie die Begeisterung, die sie als musikalisches Uhrwerk vorher nicht besaßen.

Auch Eurydike erwachte gen Ende wieder zum Leben, Amor reichte ihr charmant die Hand und führte sie zurück in eine bunte Welt, die im 20. Jahrhundert im Schlachthof zu blühendem Leben wiederauferstand. Es siegte die Liebe und die Oper. roth

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