: Wir hätten gern mitgelacht
■ Eine Studie über Kant als Schriftsteller
Daß Form und Inhalt eines Textes nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Philosophie in einem engen Wechselverhältnis stehen, ist seit Nietzsche und Adorno allgemein bekannt. Bestimmte Inhalte lassen sich nur über bestimmte Stile zum Ausdruck bringen; vor allem nimmt aber die Sprachlichkeit eines Textes Einfluß auf seine Aussage. Es war ein Irrtum der Tradition, anzunehmen, man könne „die Wahrheit“ ohne Abstriche in Sprache übersetzen. So ist jeder Philosoph auch Schriftsteller: er kämpft mit der Sprache und gegen sie.
Es gibt indes wohl kaum einen deutschen Philosophen, der als so schlechter Schriftsteller gilt wie Immanuel Kant. Schon Hegel mokierte sich über Kants „barbarische Terminologie“, Heinrich Heine sprach von Kants „Packpapierstil“, und der englische Literat Thomas De Quincey merkte an, daß Kants Bücher von Anfang bis Ende ebenso aus einem einzigen Satz hätten bestehen können. Diese Ansicht hat sich bis heute gehalten. Vereinzelter Einspruch dagegen blieb ungehört. In literarischer Hinsicht gilt Kant nicht als Könner.
Dieses einseitige Bild ist es, das Willi Goetschel in seiner Studie zu korrigieren sucht. Gleichzeitig verfolgt er systematische Interessen: Kants Stil, so Goetschels Grundthese, ist nicht nur untrennbar verbunden mit dem kritischen Gehalt seiner Gedanken. Er hat vielmehr, indem die Ironie zum „Gestus kritischer Philosophie“ avanciert und sich das Unternehmen der Kritik als Literaturgattung aus dem Essay ableitet, genuin literarische Qualitäten, die den Erkenntnisprozeß beeinflussen, wenn nicht gar veranlassen. In einem Durchgang durch Kants Frühschriften, die Kritik der reinen Vernunft und die späten politischen Schriften versucht Goetschel, die Entstehung, Entwicklung und Auswirkungen des „transzendentalen Stils“ herauszuarbeiten und „die Kritik in Struktur, Aufbau, Stilmerkmalen und Metaphorik als literarisches Werk vorstellig zu machen“. Entgegen der gängigen Forschungsmeinung, die mit dem Beginn des kritischen Philosophierens einen Bruch in Kants Denken und Schreiben ansetzt, gelingt es Goetschel, eine Kontinuität in Kants Stilistik aufzuweisen, die zeigt, daß Kant noch zu Zeiten der Kritik ein sehr viel systemfreierer und undogmatischerer Denker war, als gemeinhin angenommen wird. In der „Selbstreflexion“, die das kritische Philosophieren auszeichnet, dringen literarische Elemente — zum Teil gegen Kants eigene Überzeugung — in die als Aufschub, Suche und Versuch verstandene Philosophie ein, weil Kant darauf angewiesen ist, „sich methodisch bewußt den Weg zur Methode als den Weg der Methode selbst zu erschreiben“, deren Legitimation einzig in ihrem Verfahren selbst bestehen kann. Da jeder Gedanke „immer und in eminenter Weise ,Form‘“ ist, spiegelt sich in Kants „komplexitätsreflektiertem Schreibstil“ der „Selbstverständigungsprozeß“ und die Selbstkritik der Vernunft. „Ihr unerschöpfliches Interpretationspotential rückt die Kritik in die Nähe von Kunstwerken.“
So reizvoll und wichtig dieser Gedanke ist: Angesichts von Goetschels Durchführung bleiben viele Fragen offen. Das Grundproblem seines Buches besteht nicht etwa darin, daß so die Grenzen von Philosophie und Li
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teratur verwischt würden, sondern darin, daß Goetschel zuviel auf einmal will. Es lohnt sich zwar durchaus, Kants Stil auf seine ästhetischen, erkenntnistheoretischen und auch auf seine politischen Qualitäten hin zu untersuchen. Doch es empfiehlt sich, zumindest zunächst zwischen der literarischen Form, die Einfluß auf den Inhalt hat, zwischen einer besonders gewitzten Ausdrucksweise und einem ästhetisch ansprechenden oder hintergründig politischen Text zu unterscheiden. Diese Unterscheidung fehlt bei Goetschel vollkommen. Daher bleibt — obwohl die ganze Zeit davon die Rede ist — denkbar unklar, was denn nun „das spezifisch Literarische“ bei Kant sein soll und inwiefern „die Genese kritischer Philosophie mit dem Konzept der Schriftstellerei auf ursächliche Weise zusammenhängt“. Daß der Philosoph um seine Leser besorgt ist und von ihnen verstanden werden will, spricht noch nicht per se für seine literarischen Ambitionen, wie Goetschel nahelegt. Wenn jedes geschriebene Wort Kants bereits Literatur ist — was man durchaus vertreten kann —, dann hat Goetschel seine Pointe bereits vorab verschenkt. Entsprechend nebulös und unhinterfragt wirken die anderen Begriffe, mit denen Goetschel operiert („die Dichtung“, „das Ästhetische“, „das Narrative“), und da hilft es auch nichts, ständig von „literarischen Kabinettstücken“ und „literarischen Husarenstücklein“ zu reden. Der Leser bekäme gerne vorgeführt, worin genau diesebestehen. Glaubt man Goetschel, daß Kant sich so manchen Witz nicht verkneifen kann, so hätte der Leser gern einmal mitgelacht. Obwohl Goetschel Kant ausgiebig zitiert, bleibt er den konkreten Nachweis für seine zweifellos interessante These schuldig, daß Kant auf unterschiedliche Fragen mit unterschiedlichen Stilen reagiert und daß die „durchgehende Ironie“ Kants, die sich von der sokratischen und von der romantischen Ironie unterscheidet, „zum literarischen Formprinzip der Darstellung des t r a n s z e n d e n t a l p h i l o s o p h ischen Standpunkts“ wird.
Dieses Defizit liegt in Goetschels Vorgehensweise begründet. Es mag zwar tatsächlich „nicht angängig“ sein, sich nur auf die Kritik der reinen Vernunft zu beschränken. Doch Goetschels Buch hätte es gutgetan, einerseits weniger Schriften ausführlicher und nicht bloß kommentierend zu behandeln und andererseits andere Schriften Kants als theoretischen Unterbau heranzuziehen. Besonders mißlich ist das Fehlen der Kritik der Urteilskraft, in der Kant nicht nur seine eigene Ästhetik darlegt, sondern die Goetschel mit dem „reflektierenden Urteil“ (das Kant selbst als im eigentlichen Sinne kritisch bezeichnet) genau das Handwerkszeug geliefert hätte, das ihm eine Präzisierung all derjenigen Punkte erlauben würde, die er pauschal unter dem Titel des „Literarischen“ anspricht. Auch die von Goetschel zugrunde gelegten Begriffe der „Darstellung“ und der „Form“ hätten mit Hilfe der Kritik der Urteilskraft vertieft und problematisiert werden können.
Die Stärke des Buches, das seinerseits sprachlich leider nicht besonders gelungen ist, liegt zweifelsohne in seinem Anliegen und seinem vorzüglich recherchierten Material. Von daher lohnt es die Lektüre. Kant so „auf neue Art kritisch“ zu lesen, wie es der Klappentext verheißt — dahin ist freilich der Weg noch weit.
Christine Pries
Willi Goetschel: Kant als Schriftsteller . Passagen Verlag, Wien, 208 Seiten, geb., 56DM
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